Berlin hat seine Maiböcke

Bei seiner Suche nach einem Sündenbock ist der Innensenator fündig geworden. Alle Gewalt geht von der organisierten Antifa aus. Auch die NPD muss am 1. Mai vor ihr geschützt werden

Es ist kein Chor, sondern vielmehr ein Kanon. Doch das Lied, das von den Sicherheitsfachmännern der Stadt gesungen wird, ist stets dasselbe: Antifaschistische Aktion Berlin – nehmt euch in Acht. Eine breite Öffentlichkeit hat begonnen, gegen die immer häufiger werdenden Nazi-Aufmärsche in der Hauptstadt mobil zu machen. Wie auch jetzt gegen die geplante und derzeit von der Polizei untersagte NPD-Demonstration in Berlin-Hellersdorf am 1. Mai. Doch statt die Rechtsextremen verstärkt ins Visier zu nehmen werden Innensenator Eckart Werthebach (CDU) und seine Sicherheitsexperten nicht müde, zwei andere Themen auf der Tagesordnung zu halten – erstens: Das Demonstrationsrecht muss verschärft werden. Zweitens: Die Antifaschistische Aktion (AAB), Organisatorin zahlreicher Demonstrationen gegen die Rechtsextremen, trägt Schuld an der Gewalt zwischen links und rechts.

Der Innensenator: Blind auf dem rechten Auge

Für die Einschränkung des Grundrechts auf Demonstrationsfreiheit versucht der Innensenator der Hauptstadt sogar einen PDS-Politiker, den Hellersdorfer Bezirksbürgermeister Uwe Klett, mit ins Boot zu holen (siehe Interview). Die Schuldzuweisung an die organisierte Antifa nutzt die Berliner Polizei für umfassende Demoverbote: Sowohl der Aufmarsch der NPD als auch die Gegendemonstration der AAB wurden wegen befürchteter „gewalttätiger Übergriffe linker Gewalttäter“ verboten.

Am 12. März zogen einmal mehr 500 rechtsextreme Glatzköpfe durch Berlin ans Brandenburger Tor. Und was wusste Innensenator Werthebach im Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses dazu zu berichten? „Die Straftaten sind nicht von Rechtsextremisten ausgegangen, sondern von Linksextremisten, die sich selbst Autonome nennen und zumindest zum Teil der AAB zuzurechnen sind.“ Jener AAB, die an diesem Tag Veranstalter eines Protestzuges war, die zum einen weit weg von der Route der Nazi-Demonstration lag und zudem von der Polizei als friedlich bezeichnet wurde.

Kurz zuvor hatte der Leiter des Berliner Staatsschutzes, Peter-Michael Haeberer, per Berliner Morgenpost die AAB entsprechend eingeordnet. In einem Interview zur Entwicklung der linksextremistischen Szene der Stadt konstatiert Haeberer ein langfristiges „Austrocknen“ jener Szene, konstatiert Altlasten, die in der kulturellen Vielfalt der neuen Hauptstadt perspektivisch untergehen würden. Haeberer bleibt dabei sehr allgemein, doch eine Gruppe findet in dem Interview eine Erwähnung: die AAB. „Besondere Sorgen“, sagt Haeberer, „macht uns die so genannte Antifaschistische Aktion Berlin“. Diese versuche, an Schulen Einfluss zu gewinnen und Nachwuchs zu rekrutieren.

Seit wenigen Wochen liegt ein neues Heft des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) aus der Reihe „Durchblicke“ vor. Und auch hier, beim LfV-Chef Eduard Vermander, steht die AAB hoch im Kurs. „Antifa heißt Angriff – Antifaschismus als Deckmantel für Gewalt“ lautet der Titel der Broschüre. Wendet sich dieser nur indirekt gegen die Antifaschistische Aktion (die Parole wird häufig von der AAB verwandt und auf dem Deckblatt findet sich das Symbol, das ebenfalls häufig Flugblätter oder Plakate der AAB ziert), widmet sich das LfV im Heft doch schwerpunktmäßig diesem organisierten Teil der antifaschistischen Szene. Bei der Präsentation der Broschüre wies Innensenator Werthebach zudem auf „unzweifelhaft terroristische Aktionen“ im Zusammenhang mit der AAB hin.

Wird hier über das aktuelle Demoverbot hinaus nach bewährtem Vorbild ein groß angelegtes Ermittlungsverfahren öffentlich stimmungsmäßig vorbereitet? Schon 1994 war das niedersächsische Landeskriminalamt gegen die Autonome Antifa (M) in Göttingen zu Felde gezogen und hatte schließlich 17 Personen beschuldigt, eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben.

Die Antifaschisten: Terroristische Plakatkleber

Auch in Göttingen war der Vorwurf ähnlich schwerwiegend: Die Antifa (M) hatte zahlreiche Demonstrationen gegen Rechtsextreme organisiert. Demonstrationen, die mit Bildern von „schwarzen Blöcken“ durch die Republik gingen. Ein Mammutverfahren wurde in Gang gesetzt. Und das Ende vom Lied? Das Verfahren wurde eingestellt gegen eine Zahlung von je 3.000 Mark an die KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora.

Material für ein langes Verfahren haben die Berliner Sicherheitsexperten schon beisammen. Seit mehreren Jahren finden die AntifaschistInnen der AAB besondere Aufmerksamkeit bei den Hütern des Gesetzes. Eine Zeit lang, so berichten Mitglieder im Gespräch mit der taz, sei man mit Hausdurchsuchungen überschüttet worden. Anlass der Hausdurchsuchungen aber waren keine gewalttätigen Auseinandersetzungen oder ähnliche Delikte. Vielmehr wurden Personen auf frischer Tat bei wildem Plakatieren ertappt – ein Anruf beim polizeilichen Staatsschutz und der Hausbesuch folgte.

Auch über die Landesgrenzen hinweg hat der Sicherheitsapparat den Ruf der AAB bereits verbreitet. So erläuterte 1997 der thüringische Innenminister Richard Dewes (SPD) anlässlich der massenhaften Festnahme von Anreisenden zu einer Demonstration in Saalfeld, die die AAB mitorganisiert hatte, er könne in geheimer Sitzung den Nachweis führen, „dass ein Teil derjenigen, die auf der Bundesautobahn festgenommen worden sind, Mittäter bei dem waren, was sich vierzehn Tage vorher zum Beispiel mit der Brandstiftung bei Kaiser’s dort zugetragen hat.“ Bis heute Unbekannte hatten am 3. Oktober 1997 am Rande eines von den Grünen veranstalteten „Einheizfestes“ einen Kaiser’s-Supermarkt in Berlin-Prenzlauer Berg angezündet. Der thüringische Innenminister wurde hier wohl mit bislang unbelegten Informationen aus den Berliner Sicherheitsorganen gefüttert. Denn diese haben bis heute kein Ermittlungsergebnis vorgelegt.

Jetzt fehlt zur Konstruktion der Terroristen nur noch der Staatsanwalt. Auf Nachfrage heißt es aus der Innenverwaltung dazu nur lapidar: Wenn der Senator von „unzweifelhaften terroristischen Aktionen“ spreche, dann werde er sich schon auf entsprechende Erkenntnisse stützen können. EMMA RADKE