Irrlichter der Revolution

DAS SCHLAGLOCH
von FRIEDRICH KÜPPERSBUSCH

„Mit Angela Merkel und ihren Inhalten werden wir noch mehr Menschen im Osten für uns überzeugen.“

CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz an „irritierte PDS-Wähler“

Drei mannshohe, schmiedeeiserne Käfige prangen noch heute am Turm von Lamberti, in Münster, der Heimatgemeinde von Merkels Knecht Ruprecht. Die Bild am Sonntag-Fotostrecke „hier geht der neue Generalsekretär Obst kaufen“ wurde 500 Meter Luftlinie von dort geschossen. Krechting, Knipperdolling und in der Mitte Jan van Leiden, der Wiedertäuferkönig, waren nach öffentlichem Foltern, das man frühstückskompatibel allenfalls als Obduktion am lebenden Patienten umschreiben kann, zu Schrecken, Mahnung und Warnung ausgestellt worden. Da haben Gysi, Bisky und Modrow aber noch mal Glück gehabt. Immerhin widersteht die heutige Obrigkeit bisher auch der Versuchung, am Adenauer-Haus drei leibesumspannende, weithin leuchtende rote Socken aufzuhängen.

Die Täufer tauften, um sich auf die bevorstehende Wiederkehr Jesu einzustimmen. Tausend Jahre sollte er dann herrschen, was man chiliastisch nannte; die irdische Feudalherrschaft sollte er fortwischen, was man kommunistisch hieß. Chefideologe Thomas Müntzer – auch er 1525 hingerichtet – und seine Münstersche Ortsgruppe bezogen ihren religiösen Eifer aus dem erstarkenden, wohlhabenden Bauernstand, der selbstbewusst auf „altes, göttliches Recht“ pochte. Dagegen empörte sich Martin Luther „wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“ und empfahl, alles was Recht ist, seine nach allen Seiten koalitionsfähige weiche Revolution. Ohne neue Taufe, mit Jesus jenseits.

Mit nachdieselndem Bedauern notieren Geschichtswerke, der sozialrevolutionäre Radikalismus habe die an sich urchristlich-innige Täuferbewegung diskreditiert. Der Kommunismus wurde damals ins Jenseits vertagt, wo er auch nach heute geltender Meinung hingehört. Zudem spielen in der wirren Welt der Wiedertäufer zu viele unübersetzbare Elemente mit, um die Parallele noch weiter zu benutzen. Johann aus dem niederländischen Leiden machte sich zum absolutistischen König Münsters, was nun eher bedingt basisdemokratisch daherkommt. Er frönte der Vielweiberei – dagegen scheint das Spießertum der PDS ein solides Bollwerk – und metzgerte jeden Widerstand aus den eigenen Reihen blutigst nieder. Heutzutage erklärt sich mit Bisky der Knipperdolling des Ostens zur überfüllten Mülltonne und tritt ab.

Der Hirteneifer der Obrigkeit, nach getaner Reinigung die kopflose Herde zu sammeln, bleibt ähnlich. Eben noch galten die PDS-Wähler als unverbesserlicher Haufen Altstalinisten, von einer hauchdünnen Kruste Gysi überzuckert. Hinter den handverlesenen Popstars der SED light verberge sich der Sud der Mauerbauer. Der soll nun aber bitte ganz schnell SPD und CDU wählen, weil er ab sofort ja nicht mehr von bösen Verführern in die Irre gelenkt werde. Die bösen Verführer wiederum stünden allerdings der SPD näher, als sie wüssten, und könnten deshalb auch ruhig eintreten. Oder mal klar: Scheißegal wie, aber so blöd, dass man nicht mehr in die SPD darf, kann man gar nicht sein.

Ohne den Laden groß aufhalten zu wollen, hier zwei Einwände: Erstens: Wenn die schiere Herkunft Merkels die Union zum Ostessen-Service umdeutet – liegt darin die Sorge, dass eine Merkelunion im Westen entsprechend weniger gewählt würde? Wäre logisch. Also nicht weiter drüber nachdenken. Zweitens: Wenn die Wähler der PDS – wie zuvor die der „Republikaner“ oder DVU – ihre Stimmen nur abgaben, weil sie keine Ahnung hatten, was sie da wählten – welche Hammelherde hat dann Schröder die Mehrheit gebracht? Wie blöd ist das Wählerpack in den Augen derer, die da sprechen?

Genug. Den scheidenden PDS-Frontmännern ist das historische Verdienst nicht abzusprechen, zum allseits gelobten unblutigen Charakter der deutschen Wende entscheidend beigetragen zu haben. Paradox genug brauchen Menschen in der Niederlage Selbstvertrauen am nötigsten, und das hat die PDS vielen gegeben, die sich nicht komplett zu einem ungültigen Versuch erklären lassen wollten. „Die ihre Biografie zu Ende leben wollen“, erkannte Gysi zutreffend einen Teil seiner Wähler. Aus ganz ähnlichen Motiven hat die CDU in den 60ern Kurt Georg Kiesinger zum Bundeskanzler gemacht. Der war in Leer-und Wunderjahren Verbindungsbeamter in Ribbentrops Außenministerium, mit der besonderen Aufgabe, die Auslandspropaganda mit Goebbels’ zuständigem Ministerium zu koordinieren. Ein Vergleich, den jeder PDS-Aktivist ablehnen wird. Zu Recht, woran die CDU sich mitfreuen sollte. Der urchristliche Kern des Kommunismus mag eine Ausrede sein; immerhin das. Für den Nationalsozialismus gibt es keine. Doch Modrow wurde der Prozess gemacht, nicht Kiesinger und Konsorten.

Gleichwohl wird die PDS nun den erwartbaren Abgang Richtung ostdeutsche Durchtriebenenversammlung machen. Talkshows mit dem Rollenpflichtfach „Ossi aus der PDS als Reizfigur“ gibt es kaum mehr. Die Plattform, sich bundesweit als Sozialist, der keine Kinder frisst, zu profilieren, fehlt allen, die nach der abtretenden Garde kommen. Ohne großen Integrator wird die PDS sich aufs Programmatische konzentrieren müssen. Das geht der CDU doch auch nicht besser. Und bei den so genannten Sozialisten wird das ein knorpeldurchsetztes Süppchen aus Kapitalismuskritik, „in der DDR konnte eine Frau aber abends noch unbehelligt vor die Tür“ und löblichen Ansätzen in der Kommunalpolitik.

Die deutsche Linke ist also nicht 1989 gescheitert, sie arbeitet noch dran. Wer damals irgendwas in sich hat kaputtgehen sehen, der muss ans diesseitige Gottesreich geglaubt resp. eine gehörig weiche Birne gehabt haben. Nach Abgang der messianischen Lehre verschwinden nun die stellvertretenden Figuren; jetzt ist der Tisch sauber, da kann man was Neues anfangen. Reformation bis Revolution kommt nicht von den Satten, sondern von denen, die es nötig haben. Da können wir also die elbische Trachtengruppe PDS ausklammern wie die grüne Regierungspartei. Bleiben sieben Millionen in ihren Bürgerrechten beschnittene nichtdeutsche Deutsche; vier bis sechs Millionen Arbeitslose, aussortierte Alte, unterklassige Frauen, auf Broterwerb reduzierte Männer. Ein verzweifelt auseinander strebendes Flickenszenario. Mit ein bisschen Geschick kann man die alle gut gegeneinander hetzen. Eine eher ätherische Form der Unterdrückung ist dagegen die Beleidigung des Intellekts. Es lässt sich trefflich aushalten und bescherzen, dass die da oben einen für volldoof halten. Dass Widerworte zum Standortnachteil runterdefiniert und damit allenfalls in akademischen Nischen toleriert werden. Eine Linke ist kein Selbstzweck, wenn es rechts so schön funktioniert.

Münster hat sich nie mehr erholt von seinem kurzen, irrlichternden Fieber als Hochburg der Revolution in Deutschland. Die Region wurde später mit dem Schwert missioniert und blieb bis heute tief katholisch. Immerhin gab es jüngst ein kurzes Interregnum mit einer rot-grünen Rathauskoalition und einer Frau als Oberbürgermeisterin. Als Verdienst wurde Ruprecht Polenz angerechnet, dass er gegen die stark studentisch-akademische Fraktion der Stadt die traditionsreiche Christdemokratie zurück an die Macht führte. Sonst gibt es da, wie an Bischofssitzen üblich, heftigen Karneval. Viele Fahrradwege. Und die drei Käfige an Lamberti.

Hinweise:Scheißegal wie, so blöd, dass man nicht in die SPD darf, kann man gar nicht seinDie deutsche Linke ist nicht schon 1989 gescheitert, sie arbeitet noch dran

Autorenhinweis:Friedrich Küppersbusch ist bekannt aus Funk und Fernsehen – und seit 1994 Autor dieser Kolumne.