Bilder gegen Aggressionen

An einer Köpenicker Grundschule malen verhaltensauffällige Kinder gegen ihre Aggressionen an. „Wutbilder“ anstelle von Auseinandersetzungen

„Sieht mein Baum nicht schön aus?“ Die elfjährige Susanne zeigt Maren Theel stolz ihr Bild. Anerkennung erfährt die Schülerin der Köpenicker Schule für Lernbehinderte nicht oft.

Verhaltensauffälligen Kindern Beachtung zu schenken ist eines der Ziele eines Modellprojekts, das derzeit an Köpenicker Schulen erprobt wird. Bildende Künstlerinnen malen einmal in der Woche mit verhaltensauffälligen Kindern aus sozial benachteiligten Familien. Jedes Kind wird von den Künstlerinnen Maren Theel und Berit Mohlau mit einem Händedruck zur Übungsstunde begrüßt. Auch die Farben und das Papier bringen sie ihnen. „Diese Art der Zuwendung genießen die emotional unterversorgten Kinder“, sagt Maren Theel, die auch eine Ausbildung als Kunsttherapeutin absolviert hat. Am Anfang führe das zu einer Verschwendung von Material, die sich jedoch rasch gebe.

Weil verhaltensauffällige Kinder die Gewalttäter von morgen sein könnten, setzt das Gewaltpräventionsprojekt, das vor drei Jahren aus einem studentischen Praktikum einer Kunsttherapeutin hervorging und vom Bezirksamt finanziert wird, in der Grundschule an, erläutert Heike Meves von der Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik „Alice Salomon“, die das Projekt wissenschaftlich begleitet. „In der Fachliteratur heißt es, dass kunsttherapeutische Gruppenarbeit bei verhaltensauffälligen Kindern nicht möglich sei. Es hat mich gereizt, das Gegenteil zu beweisen.“ Die Kinder lernen beim Malen, ihre Aggressionen auf eine ungefährliche Art auszuleben. Wenn sich etwa zwei Jungen in der Gruppe prügeln, schlagen die Betreuerinnen den Kampfhähnen vor, „Wutbilder“ zu malen. Die Kinder, deren Fähigkeiten zur verbalen Auseinandersetzung oft unterentwickelt sind, lernen eine gewaltlose Form der Kontaktaufnahme kennen. Viele der Kinder seien nach ein bis zwei Jahren Arbeit mit den Künstlerinnen innerlich ruhiger geworden, auch ihre schulischen Leistungen seien oft deutlich besser, so Meves.

Es dauert etwa sechs Monate, bis die Kinder die Möglichkeiten entdecken, durch das Malen eigene Gefühle und unangenehme Erlebnisse auszudrücken. Der elfjährige David etwa malt einen Kondombaum, an dem Fernsehgeräte mit Pornoszenen hängen. Auf dem Bild des gleichaltrigen Jonas haben die Palmen die Form eines Penis. Die zehnjährige Maria hat ihre Lieblingspuppe zur Zeichenstunde mitgebracht und malt sie mit Liebe zum Detail ab.

In der abschließenden Runde am Ende der Zeichenstunde können die Kinder über ihre Bilder sprechen. Sebastian, der eine Feuerwehr gemalt hat, erzählt: „Ich habe Frau Theel gemalt. Die hat einen Herzschlag bekommen und ist von der Feuerwehr totgefahren worden.“ Maren Theel bleibt gelassen. „Als Kunsttherapeutin weiß ich, dass sich diese Aggression nicht gegen mich, sondern gegen den Jungen selbst richtet.“ Wäre sie ausgerastet, hätten sich seine bisherigen Sozialerfahrungen bestätigt. Als sich Sebastian nach dem Ende der Malstunde auf dem Boden wälzt, begleitet ihn Maren Theel liebevoll hinaus und verabschiedet ihn. „In dieser Form will der Junge ausdrücken, dass er Kontakte zu mir herstellen will“, erklärt sie.

Jugendstadtrat Dirk Retzlaff (PDS) ist von dem Erfolg des Projekts überzeugt. „Allein dass diese Kinder über viele Monate Interesse am Malen haben und dabei konzentriert arbeiten, ist für ihre psychische Stabilität wichtig.“ Bei einer Ausstellung der Bilder im vergangenen Herbst haben den Stadtrat „die stolzen Augen der Kinder“ und ihre „innige Beziehung zu den Künstlerinnen“ überzeugt.

Für das kommende Schuljahr ist eine Förderung durch das Land beantragt. Dann sollen 16 Künstlerinnen und Künstler in allen 18 Köpenicker Grundschulen Gruppen betreuen.

MARINA MAI

Hinweis:Wenn verhaltensauffällige Kinder unangenehme Erlebnisse und Gefühle malen sollen, entstehen Kondombäume oder ein Bild der Lieblingspuppe