„Wir sind so groß wie die USA“

Der Euro kann es ohne weiteres mit dem Dollar aufnehmen, meint Konjunkturexperte Flassbeck. Der Kursverfall sei völlig irrational

von KATHARINA KOUFEN

taz: Herr Flassbeck, der Euro sinkt und sinkt. Wäre die Deutsche Mark ohne Euro heute besser dran?

Heiner Flassbeck: Das kann ich in keinster Weise sagen. Jeder, der das behauptet, behauptet etwas, was er gar nicht wissen kann. Wir haben auch in der Vergangenheit – beispielsweise 1984/85 – gesehen, dass die Mark sehr stark gegenüber dem Dollar an Wert verloren hat.

Was war die Erklärung dafür?

Es gab den Reagan-Boom, und es gab, wie heute, eine stark expandierende US-Wirtschaft. Auch damals gab es die berühmten strukturellen Erklärungsversuche für Europas Schwäche. Wir haben aber gesehen, dass es keine rationale Erklärung für solche Wechselkursschwankungen gibt – und genau das macht die Sache so problematisch. Es ist aberwitzig, was jetzt alles für Erklärungen für die Schwäche des Euro herangezogen werden – die fehlende deutsche Gesundheits- oder Rentenreform oder ähnliches.

Der Euro zeigt: Wir brauchen angepasste Wechselkurse

Dass das Ganze irrational ist, sieht man am besten, wenn man Euroland mit Japan vergleicht: Der Euro ist nämlich nicht nur gegenüber dem Dollar schwach, sondern auch gegenüber dem japanischen Yen, und der Dollar selbst ist sogar gegenüber dem Yen schwach. Die japanische Wirtschaft – darüber sind sich alle einig – ist aber bei der Lösung der „strukturellen Probleme“ hinter den Europäern zurück.

In Japan ist das Zinsniveau im Keller, aber der Yen stark. Doch Experten sagen, die Euro-Schwäche liege an den hohen Zinsen in den USA. Ist das falsch?

Ja. Da sieht man wieder, dass die Leute, die die Europäische Währungsunion verwalten und vertreten, offensichtlich immer noch Anhäger flexibler Wechselkurse sind – wie sie zwischen Dollar, Yen und Euro bestehen – und mit Gewalt versuchen, einen Sinn in diese Marktbewegung hinein zu interpretieren.

Die Wechselkurse der Euro-Währungen sind festgelegt. Ist der schwache Euro deshalb nur ein Problem für die Außenhandelspartner?

Es gibt innerhalb und zwischen den EU-Ländern tatsächlich kein Problem, was einfach zeigt, dass man einen flexiblen Wechselkurs bei ähnlichen Inflationsraten nicht braucht. Aber ähnliche Inflationsraten haben wir im Moment zwischen Euroland und den USA und Japan auch. Trotzdem schwanken die Wechselkurse ganz wild und verzerren die Grundlage für Investitionsentscheidungen. Alle Ökonomen, die immer von solchen Allokationsverzerrungen bei Inflation und ähnlichem reden, müssten jetzt aufschreien: Das ist eine Katastrophe, weil Wechselkursschwankungen Investoren massiv beeinflussen. Mal ist eine Währung teuer, mal billig.

Ist der Euro im Gegensatz zum Dollar unterbewertet?

Ja, im Grunde gehört er ganz schnell aufgewertet, was man an unserem Exportboom unmittelbar ablesen kann.

Ist nicht ein schwacher Euro gut für unsere Exportwirtschaft? Das Ausland kann schließlich europäische Waren jetzt billig importieren.

Ja, das ist im Moment auch das Einzige, was der Europäischen Union hilft. Das ist auch eine grandiose Inkonsistenz der akutellen Debatte. Einerseits stöhnt man über die Schwäche des Euro, andererseits ist der schwache Euro der einzige Impuls, den die europäische Wirtschaft im letzten Jahr bekommen hat. Der Aufschwung hat nichts mit den angeblichen Strukturreformen der Bundesregierung zu tun. In Europa und in Deutschland muss man sich in Zukunft mehr am Binnenmarkt orientieren und nicht so stark an der Auslandsnachfrage.

Nach Auffassung der Europäischen Zentralbank (EZB) sollen die Gewerkschaften „mehr Bescheidenheit“ bei den Lohnforderungen zeigen – sonst werde der Euro nie wieder so stark wie der Dollar.

Wenn jemand sagt, die Euroschwäche liege an den Löhnen, dann ist das schlichter Unfug.

Den Leitzins zu erhöhen wäre eine falsche Entscheidung

Die Lohnstückkosten steigen in den USA seit Jahren stärker als bei uns. Europa hat da überhaupt keinen Nachholbedarf. Das ist das Fatale an der Situation: Trotz einer Lohndifferenz zu Gunsten Europas steht der Euro schwächer da.

Euro-Währungen, wie etwa die Lire, seien inflationsgefährdet, glauben Experten. Ist das der Grund für die Euro-Schwäche?

Die amerikanische Inflation liegt bei drei Prozent, die europäische nur bei zwei Prozent. Nach dieser Argumentation müsste der Euro stärker sein. Aber das sind lächerliche Ad-hoc-Argumente, die jeden Tag neu gesammelt werden, um zu erklären, was man nicht erklären kann.

Ist dem Euro noch zu helfen?

Ja. Das System fester Wechselkurse, das wir in Europa mit dem Euro eingeführt haben, ist vernünftig. Damit haben wir dem Devisenmarkt die Macht genommen, die Investitionsgrundlagen zu verzerren. Um das auch für die Weltwirtschaft zu gewährleisten, muss man internationale Kooperation betreiben. Die drei großen Regionen – Europa, USA und Japan – müssen ihre Wechselkurse untereinander stabilisieren. Aber das Verrückte ist, dass darüber ja gar nicht geredet wird. Dieses Thema ist tabu. Deshalb schlagen sich EZB und Regierungen mit unsinnigen Erklärungen herum und kommen nicht zu Potte.

Länder, die ihre Währung an den Dollar gekoppelt haben, haben auch enorme Nachteile: Sie müssen ihre Geldpolitik aufeinander abstimmen. Für Europa würde das heißen, dass die Zinsen – wie in den USA – weiter heraufgesetzt werden müssten.

Also hören Sie mal, wir sind ja nicht irgendwer! Wir sind ja genauso groß wie die Amerikaner. Wenn die EZB die Zinsen heute wieder erhöht, dann hat sie trotzdem keine eigenständige Geldpolitik betrieben, sondern sich nur dem Druck des Wechselkurses gebeugt. Es gibt eben keine eigenständige Geldpolitik mehr in einer hoch verflochtenen, globalisierten Welt.

Die EZB sollte den Leitzins heute also nicht erhöhen?

Richtig. Eine Erhöhung wäre die schlechteste Entscheidung, die sie treffen kann, weil es im Zweifelsfalle am Wechselkurs nichts ändern wird. Die Märkte werden misstrauisch, wenn der Euro nun schon Zinserhöhungen als Stütze nötig hat. Im Endeffekt würde die Binnennachfrage weiter gedämpft, der Export stimuliert – und damit wird die ungesunde Schere zwischen Binnen- und Auslandsnachfrage, also dem Überschuss in Europa und dem Defizit in den USA, noch größer. Damit wächst die Gefahr, dass der Euro irgendwann von heute auf morgen in die Höhe schießt. Eine solche Aufwertung würde unsere schönen Arbeitsplatzhoffnungen zerstören.

Wann wird der Euro aufgewertet?

Wenn ich das müsste, wäre ich Milliardär.

Was bedeutet es für uns, wenn der Euro weiter so schwach ist?

Wir werden weiter exportieren wie die Weltmeister. Die Amis werden noch mehr Porsches und BMWs kaufen – alles mit grünen Papierschnipseln, die in ein paar Jahren nur noch die Hälfte wert sein werden.

Wann wird es kritisch?

Es kann übermorgen kritisch werden, aber auch noch ein paar Jahre so weiter gehen. Misst man den Euro an der Mark, kann er noch eine ganze Menge an Wert verlieren. Die Mark hatte nämlich umgerechnet in Euro bis auf fast 0,50 Euro Mitte der Achtzigerjahre an Wert verloren.

Sollten wir aus der europäischen Währungsunion aussteigen?

Nein, dann hätten wir ja auch innerhalb Europas wieder flexible Wechselkurse. Obwohl ich vieles an der EZB zu kritisieren habe, so ist es doch positiv, dass wir den Devisenmarkt entmachtet haben.

Die EZB müsste nur ihre Aufgabe wahrnehmen, was sie meiner Meinung nach nicht tut.

Ein zu starker Euro ist schlecht für die Wirtschaft

Sie müsste, gemessen an der Dimension und der volkswirtschaftlichen Geschlossenheit Europas gegenüber dem Rest der Welt, ihre Aufgabe darin sehen, die Binnennachfrage zu stimulieren. Sie müsste wie die amerikanische Zentralbank erkennen, dass Geldpolitik immer auch Auswirkungen auf die Realwirtschaft hat, und nicht nur auf die Inflation schielen. Die Amerikaner sind deshalb so erfolgreich, weil sie in den Neunzigerjahren diese Erkenntnis in Politik umgesetzt haben – und nicht wegen irgendwelcher Strukturreformen, die haben sie nämlich gar nicht gemacht.

Die Zinserhöhungen der EZB hingegen sind von einer unbegründeten Inflationsphobie getrieben. Wechselkurse kann man durch eine Zinserhöhung nicht stabilisieren, ohne dass das mit dem Rest der Welt abgesprochen wird.