Von der Loge aufs Parkett

Seit über 250 Jahren gibt es Freimaurer in Berlin. Lange Zeit wusste niemand etwas über sie. Heute gibt es Internet-Seiten und Freimaurer, die in der Öffentlichkeit über ihr Leben sprechen

von NADINE KRAFT

Über der Eingangstür prangen im goldenen Dreieck Zirkel und Winkel. Das Schild mit der Aufschrift Logenhaus in der Zehlendorfer Peter-Lenné-Straße verdeutlicht auch Uneingeweihten, dass sie sich hier den heiligen Hallen der Berliner Freimaurer nähern. Eine gewisse Beklemmung beschleicht den Besucher, betritt er die große Empfangshalle. Dunkel kommt sie daher. Dunkel wegen der schweren Eichenholztäfelung, der weinroten Ledermöbel, der fehlenden Fenster.

Erst ein Klick auf den Lichtschalter entzaubert die gedrückte Stimmung. Und schon sitzen wir in diesen dunkelroten Ledermöbeln, gegenüber ein kalter Kamin, ringsum Bilder und Symbole. „Die Lehrart des Ordens beruht auf dem christlichen Glauben, verlangt aber keine konfessionelle Bindung“ – wir sind gleich mitten im Thema.

Eberhard Schmidt-Marmagen, ein 73-jähriger, elegant gekleideter, mit großem Aktenkoffer daher kommender Herr, hat keine Scheu, die „Geheimnisse“ der Freimaurer aufzuklären. Jahrhundertelang musste die „geschlossene Gesellschaft“ mit Vorurteilen leben. Kleine Kinder hätten sie geschlachtet und wahre Orgien gefeiert. „Ganz unschuldig sind die Maurer daran aber nicht“, meint Schmidt-Marmagen, „denn sie haben sich völlig der Welt entzogen.“

Heute gibt es Internet-Seiten der fünf deutschen Großlogen, die sich zu den Vereinigten Großlogen von Deutschland zusammengeschlossen haben, weil die englische tonangebende Loge nur eine Großloge pro Land akzeptiert. Fast alle Fragen werden inzwischen beantwortet. Lediglich die Tempelarbeit bleibt geheim. Nichteingeweihte haben keinen Zutritt – und schon gar nicht Frauen. Hier versuchen die Maurer, ihr „Geheimnis“, das Geheimnis des Lebens, zu lüften.

Tempelarbeit nennen die Freimaurer ihre monatliche Zusammenkunft im abgeschlossenen Raum, der mit rituellen Gegenständen wie Altar, Kerzen, Buch der Wahrheit (die Bibel) und anderen Dingen ausgestattet ist. Hier nähern sich die Männer einem Thema, das meistens geistig-sittlich angelegt ist. Vergleichbar mit der Liturgie in der Kirche führen die Rituale wie Kerzenanzünden zum Kernpunkt der Arbeit, einer Rede, hin. „Das Geheimnis ist das persönliche Erlebnis, das jeder während der Tempelarbeit anders empfindet. Dafür fehlen einfach die Worte in der Sprache.“ Deshalb, so betont Gidon Lustig (47) von der Großen Loge Royal York zur Freundschaft, gäbe es eigentlich gar kein Geheimnis.

Die Worte fehlen auch für das, was sich hinter dieser weltweiten Bewegung verbirgt. Vielleicht ein Männerbund, hervorgegangen aus den real arbeitenden Dombauhütten des Mittelalters, der seit dem Ende des 17. Jahrhunderts nur noch geistig arbeitet, zudem humanistisch gesinnt ist und karitativ wirkt. Was die Freimaurerei nicht ist, wird klarer definiert: keine Religion, keine Sekte, keine Partei.

„Wer eine Ersatzreligion sucht, wird sie hier nicht finden“, unterstreicht Gidon Lustig. Und aus der Politik halten sich die Maurer ebenso raus. Dadurch haben im Gegensatz zu vergangenen Zeiten weder Politiker noch die Kirche irgendwelche Probleme mit der Freimaurerei.

Im Vordergrund der freimaurerischen Arbeit steht die geistige Weiterentwicklung des Maurers hin zu einem besseren Menschen. „Erkenne dich selbst“ lautet das Leitmotiv. „Willst du die Welt verändern, beginne bei dir selbst“ und „Ehre, Anstand und Moral“ definieren das freimaurerische Leben. Toleranz wird groß geschrieben, vielleicht der Hauptgrund, warum Diktaturen die Freimaurer verbieten. Auch in der DDR gab es keine. Erst nach der Wende belebten die Brüder alte Logen wieder. Die Berliner sind da vor allem in Brandenburg aktiv geworden. „Aber der Nachwuchs fehlt“, gibt Eberhard Schmidt-Marmagen zu.

Ohne die Hilfe der Berliner Brüder könnten manche Logen gar nicht arbeiten, denn zur Tempelarbeit sind nach Vorschrift des Ritus mindestens neun Männer notwendig. Nur wenige bringen solche Mitgliederzahlen inzwischen aus eigener Kraft auf. „In den neuen Bundesländern sind uns zwei Generationen verloren gegangen. Erst das Verbot unter Hitler, dann die Nichtzulassung in der DDR“, so Schmidt-Marmagen. Viele ehemalige DDR-Bürger meinten zudem, Atheisten zu sein. „Ich glaube, dass es kaum einen Menschen gibt, der nicht an ein ordnendes Prinzip glaubt“, sagt dagegen Thomas Richert (57) von der Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer (Afam).

Nicht über Nachwuchsprobleme beklagen können sich die Frauenlogen. Denn seit gut 50 Jahren gibt es auch Frauen- und gemischte Logen. Zwar nicht offiziell anerkannt von der englischen Großloge, aber freimaurerischer Lebensart verbunden. Die erste Frauenloge „Zur Humanität und Beständigkeit“ wurde vor 51 Jahren in Berlin von Männern „ins Licht gesetzt“. Doch inzwischen haben die Frauen ganz gut ihren Weg gefunden und verbitten sich jegliche Einmischung. Vor 18 Jahren gab es drei feminine Logen, die die Gründung der Großloge „Zur Humanität“ erlaubten. In diesem Jahr sollen bereits die zehnte und die elfte Loge ins Licht gesetzt werden. Genau wie bei den Männern müssen dafür mindestens neun Mitglieder vorhanden sein. Die Mehrheit der Frauen, die in eine Loge eintreten, ist um die 40 Jahre alt. Zumeist Frauen, deren Kinder groß und die auf der Suche nach einer neuen lebensfüllenden Alternative sind. „Wir erleben hier einen kleinen Boom“, so die Großmeisterin Marlen Wehnelt (53). Die resolute Frau ist mit der Freimaurerei aufgewachsen.

Noch heute sind viele Männer skeptisch, doch die meisten sind den Frauenlogen freundschaftlich verbunden. Genau wie die Männer dulden die Frauen kein anderes Geschlecht während ihrer Tempelarbeit. Eberhard Schmidt-Marmagen begründet dies mit den alten Idealen und Ritualen der Freimaurerei und in gewissem Sinne mit blankem Selbstschutz. „Ich bin schönen Frauen sehr verbunden und könnte keinen klaren Gedanken in ihrer Gegenwart fassen“, muss er zugeben. Ähnliche Erfahrungswerte bringt auch Thomas Richert ins Spiel. „Sie wissen doch selbst, wie unerträglich ein Mann ist, der sich in Gegenwart eines Rockzipfels wie ein Pfau aufspielt.“ Der symphatische Pfeifenraucher sagt das so überzeugend, dass frau keinen Gedanken an Diskriminierung hegt.

Und die Frauen unterstreichen diese Erfahrungen noch: „Es ist schon schwer, sich in Gegenwart des gleichen Geschlechts völlig zu öffnen, um so nach freimaurerischer Vorstellung sich selbst zu verändern“, sagt Marlen Wehnelt. Und die Meisterin vom Stuhl (Vorsitzende einer Loge), Elma Priese (59), ergänzt, dass Gespräche unter Frauen anders verliefen als solche, die ein Mann stört. Schließlich ginge es den Frauen unter anderem darum, ohne ständigen Profilierungszwang das „Leben draußen“ besser meistern zu lernen. Die Männer bringen ihren Frauen Hochachtung entgegen – und schließen sie doch bis zu einem gewissen Punkt aus. Ohne die Zustimmung der Lebenspartnerin wird keiner aufgenommen, weil sonst Ehekonflikte vorprogrammiert seien. Als Dank bekommt sie dann genau wie der neue Bruder ein paar weiße Handschuhe, ein Symbol für die geistige Arbeit.

Für alle weiblichen Personen rund um einen Stuhlmeister, die keiner femininen Loge beitreten wollen, gibt es die Möglichkeit, im karitativ ausgerichteten Order of the Eastern Star mitzumachen. Hier haben die Frauen auch ein Ritual, sind ansonsten aber vor allem damit beschäftigt, über Feste und andere Veranstaltungen Geld für Projekte zu sammeln, die die Freimaurer unterstützen.

Ursula Seeligsohn ist eine dieser karitativ wirkenden Frauen. Die kleine alte Dame ist seit der Gründung des Eastern Star in Berlin in den Fünfzigerjahren dabei. Der Orden kam über die amerikanischen Truppen nach dem Zweiten Weltkrieg nach Deutschland. Doch obwohl Ursula Seeligsohn selbst erfolgreiche Geschäftsfrau war und nicht den Eindruck macht, sie würde sich freiwillig hinter die Männer zurücksetzen lassen, hat ihr die freimaurerisch ausgerichtete karitative Arbeit fast immer gereicht. „Irgendwann wollten wir uns aber auch ein bisschen weiterbilden und organisierten ebenfalls Vorträge“, erzählt die 79-Jährige. In eine Frauenloge wollte sie nie eintreten, findet es aber gut, dass die Frauen sich auch da emanzipiert haben. Zusätzlich waren die Seeligsohns auch bei Bnai Brith, einer jüdischen Loge, die freimaurerisch arbeitet, dabei das Judentum pflegt – und ebenfalls nicht von der englischen Großloge anerkannt ist. Bnai Brith wurde im 19. Jahrhundert in Amerika gegründet, um den vielen jüdischen Einwanderern eine Heimstatt zu geben.

Befragt nach Hintergründen, die die Männer und auch die Frauen zu den Freimaurern brachten, offenbaren sich nicht nur persönliche Lebensgeschichten, sondern auch andere Beweggründe. Eine gewisse humanistische Grundgesinnung ist allen eigen, dazu der Glaube an ein höheres Wesen, sei es nun Gott, Jahwe oder Allah. Außer im Freimaurer-Orden wird kein Bekenntnis zu Jesus Christus, sondern nur zu einem „Allmächtigen Baumeister aller Welten“ gefordert. Und den kann sich jeder so ausschmücken wie es ihm beliebt.

In seiner offenen Art gibt der Lehrer Thomas Richert unumwunden zu, dass er damals, Anfang der Sechzigerjahre, als Student einfach auf der Suche nach einem „guten Klub“ war. Er sei immer ein gruppenorientierter Typ gewesen, aber Pfadfinder, Technisches Hilfswerk und studentische Verbindungen befriedigten ihn genauso wenig wie die Antworten der Politik oder Religion. „Ich suchte einen Kreis, in dem ich ernst genommen werde, in dem ich gut reden konnte.“ Auf die Loge „Friedrich Ludwig Schröder“, in der er seit seiner Aufnahme 1966 ist und zeitweilig auch der demokratisch gewählte Meister vom Stuhl war, kam Richert eher zufällig. „Ich denke aber, auf Dauer wäre ich in keiner anderen so glücklich geworden.“ Schließlich seien die „Alten Freien und Angenommenen Maurer“ so etwas wie die Anarchisten unter den Freimaurern, könne doch jede Loge ihren eigenen Interessen nachgehen.

Der 74-jährige Reinhold Dosch hingegen kam relativ spät zu den Freimaurern. Familie schon gegründet, im Beruf als Ingenieur fest im Sattel. „Und plötzlich das Gefühl, irgendetwas fehlt. Fachliche Zirkel besuchte ich schon, aber da drehte sich auch alles nur um mein berufliches Thema“, so Dosch. Er wollte sich über Dinge unterhalten, die man im Allgemeinen nicht in der U-Bahn besprechen kann, und stieß auf die Freimaurer. Seine Loge „Zur Treue“ ist unter dem Dach der Großen Nationalmutterloge zu den drei Weltkugeln (3 WK) angesiedelt. Diese ist in ihrer Gesinnung nicht ganz so anarchistisch-liberal wie die Afam, aber auch nicht so konservativ wie der Orden. Zwar hängt über dem „Altar der Wahrheit“ im Tempel der Brüder an der Heerstraße ein Bild von Jesus am Ölberg. „Aber das ist ein Relikt aus alten Zeiten, es hat nur historischen Wert“, betont Reinhold Dosch. Ein Bekenntnis zur christlichen Religion verlangen die 3 WK nicht mehr.

Reinhold Dosch hat inzwischen ein freimaurerisches Lexikon veröffentlicht, das in kurzen Stichworten Antworten auf (fast) alle Fragen gibt. „Wenn jemand wirklich mit dem Herzen dabei ist, bleibt eine tief greifende Veränderung seiner Persönlichkeit nicht aus“, sagt Dosch und fügt ein bisschen nachdenklich hinzu: „Vielleicht kann er dadurch auch seine Umwelt ein wenig zum Positiven, zum Humanistischen verändern.“