MAHNUNG DER ALTERNATIVEN WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFTLER
: Unverdientes Glück

In einem Jahr 200.000 Arbeitslose weniger, in zweieinhalb fast eine Million, in zehn Jahren gar Vollbeschäftigung: Die optimistischen Prognosen der Konjunkturforscher haben sich in den letzten Tagen überschlagen. Die euphorisierende Vorstellung, dass sich das größte und wichtigste wirtschaftliche Problem in Deutschland von selbst lösen könnte, hat viele dazu verleitet, das Kleingedruckte zu ignorieren – sofern es in den diversen Studien und Gutachten überhaupt auftauchte. Den vorhergesagten Erfolg schreiben beinahe alle kritiklos der Politik der Bundesregierung zu. Dieser Euphorie widersprechen nun die alternativen Wirtschaftswissenschaftler in ihrem Memorandum 2000. Und das zu Recht.

Weder am Aufschwung noch am möglichen Abbau der Arbeitslosigkeit hat Rot-Grün bislang einen nennenswerten Anteil. Die Prognosen für die neuen Arbeitsplätze basieren lediglich auf den positiven Konjunkturaussichten für die nächsten beiden Jahre. Dabei wird der Aufschwung in Deutschland immer noch von den Ausfuhren getragen und ist primär von der Konjunktur in den USA abhängig. Das kann gut gehen. Muss aber nicht.

Was die Arbeitsplätze angeht, lohnt ein genauerer Blick auf die Zahlen. Denn: In den nächsten zehn Jahren stehen dem Arbeitsmarkt 1,5 Millionen Frauen und Männer nicht mehr zur Verfügung, da der Altersdurchschnitt in Deutschland in den nächsten Jahren rapide steigt. Noch weniger beeindruckt die Entwicklung der Arbeitslosenquote – vor allem im Osten, wo 30 Prozent der Arbeitslosen leben: Laut Frühjahrsgutachten sollen dort 2002 noch 18,6 Prozent der Menschen ohne Arbeit sein.

Die von diesen Tatsachen unberührte allseitige Begeisterung könnte die Bundesregierung nun zumindest für eine tatsächlich nachhaltige Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik nutzen. Stattdessen verfällt sie der Verlockung, sich zurückzulehnen: Warum soll sie den konfliktträchtigen Weg der Umverteilung gehen, wenn sich die Arbeitsplätze auch über das Wachstum, dessen ökologische oder nachfragebedingte Grenzen kaum hinterfragt werden, einstellen? Dieses Wachstum selbst will die Regierung kaum steuern. Allenfalls denkt sie darüber nach, die Zukunftstechnologien stärker zu fördern. Von staatlichen Investitionen in dringend erforderliche Infrastrukturmaßnahmen oder für Gesundheit und Bildung ist schon lange nicht mehr die Rede.

Schade ist dabei vor allem eins: Mit ihrer Kritik haben die alternativen Wirtschaftsweisen in den vergangenen 25 Jahren immer wieder Recht behalten. Dass auch ihre Konzepte und Ansätze richtig sind, können sie nicht beweisen, da auch Rot-Grün ihnen dazu keine Chance gibt. BEATE WILLMS