Skandal: taz bremen der Lüge überführt

■ Lügendetektor (besser: Polygraph) im Selbstversuch getestet / Das Ergebnis: Jedes Tricksen oder Lügen ist einfach unmöglich

Eigentlich ging es um nichts. Keine Mordanklage, kein Strafverfahren, nichts. Nur um eine Zahl und eine kleine Lüge. Doch einem Lügendetektor ist das vermutlich ziemlich egal: Tricksen hilft nicht – jeder Lüge wird mittels Puls, Schweiß und Atemfrequenz Beine gemacht.

Von außen betrachtet ist der Lügendetektor ein harmloses Ding. Eigentlich. Kein Elektrischer Stuhl. Bloß ein schwarzer Koffer, Marke „Statesman“, made in den Staaten und ziemlich unauffällig. Allerdings gut zehn Kilo schwer. Und gut 10.000 Mark teuer. Dafür unbestechlich und mit einer Zielgenauigkeit von unerhörten 90 bis 98 Prozent.

Besitzer des Koffers ist Michael Stadler, Psychologie-Professor an der Uni Bremen und offizieller Polygraph-Sachverständiger – einer von insgesamt elf in Deutschland. „Lügendetektor“ sagt man unter Psychologen allerdings nicht – schließlich müsste er „Wahrheitsdetektor“ heißen, wenn man die Fragen andersherum stellt. Also sprechen Psychologen griechisch-neutral vom „Polygraphen“ (Mehrfachschreiber), sonst kostet das fünf Mark in die Kaffekasse.

Michael Stadler packt seinen Koffer aus. Drinnen glänzt poliertes Kupfergold. Viele Kabel, Drähte, Knöpfe, vier Zeiger (die Mehrfachschreiber), und grün kariertes Papier, das sich im Sekundentakt unter den Zeigern hervorschiebt. Dann werde ich angeschlossen: Ein Gurt um die Brust, der die Atmung kontrolliert und sie über einen Zeiger aufs Papier spuckt. Eine Manschette um den linken Arm, die Puls- samt Herzfrequenz misst. Eine Manschette für den rechten Mittelfinger, der per Infrarot das Blut kontrolliert. Und schließlich zwei Manschetten links um Ring- und Zeigefinger, die den Hautwiderstand prüfen. „Keine Angst“, beruhigt Stadler. Es fließt ja kein Strom – da wird einfach nur gemessen.

Trotzdem puckert das Blut durch die eingeklemmten Finger, die Polygraph-Zeiger schlagen dementsprechend aus. Stadler schraubt an Knöpfen und Zeigern, muss justieren, nachjustieren, den Mittelwert finden, an dem später die Lüge von der Wahrheit getrennt wird. Ein richtes Verhör per Lügendetektor würde drei Stunden dauern. Der taz-Selbstveruch dagegen ist ein kurzes Zahlen-Lügen-Spiel, gut 30 Minuten – dann bin ich mit meiner Zahl überführt.

Ich lüge mit der 5. Eine Ziffer (von 2 bis 6) sollte ich aufschreiben. Der Block mit der 5 liegt jetzt umgedreht auf dem Tisch. Stadler weiß von nichts.

Erste Testreihe: Stadler fragt die Zahlen der Reihe nach ab: ob es die 2 ist die ich aufgeschrieben haben. Ob es die 3 ist... Laut Instruktion soll ich immer mit „nein“ antworten. Bei der 5 also lügen. Ein Polygraph braucht ein klares ja oder nein. Beim Dauergespräch wären die Ausschläge zu unpräzise.

Vielleicht kann man den „Statesman“ überlisten, denke ich. Und will an die 2, statt an die 5 denken. Ich starre stur gerade aus, auf eine Mücke, die regungslos an der Wand kauert. Das Papier surrt und quillt leise aus dem Koffer raus. Alle 15 Sekunden die nächste Frage.

Bei 6 fällt mir auf, dass ich den Atem kurz angehalten habe. Ganz unbewusst. Aber vielleicht ein Hinweis? Zumindest auf die falsche Zahl. Nur bei der 5 darf mir so was nicht passieren – verflixt, bloß nicht bei der 5.

Zweite Testreihe: Immer noch die gleichen Fragen, diesmal nur zahlenmäßig durcheinander, und immer wieder die gleiche Antwort „Nein“. Stadler fragt erst nach der 2, dann nach der 6, dann kommt erst die 5. Klingt fast so, als wäre die 5 schon letzte Wahl. Fast so, als wäre die 2-Strategie ein voller Erfolg.

Aber nichts da: Der Hautwiderstand (Schweiß) ist es, der mich überführt. Die Elektronik hat, unbeirrt von jeder 2, nur bei der 5 ganz deutlich ausgeschlagen. Überdeutlich, meint Stadler. Ich sei ganz schön sensibel beim Lügen.

Und er, als geprüfter Polygraph-Sachverständiger, weiß er denn keine Tricks, den elektronischen Lügenprofi zu beschummeln. Vom Reißnagel bis zum Biß auf die Zunge, kennt Stadler alle Finessen. Sie sollen Emotionen vortäuschen, wo keine sind, Zeiger entsprechend zum Ausschlagen bringen. „Aber das funktioniert trotzdem nicht“, meint der Psychologe. Bei den Kontrollfragen fehlt dann die Zuordnung. Das mache den Test schließlich unbrauchbar.

Aber wenn der Test, wie seit anderthalb Jahren auch in Deutschland erlaubt, im Vorfeld eines Strafverfahrens angewendet wird, dann meist zur Entlastung. „Jeder, der sich entlasten will, hat ein ureigenes Interesse daran, dass beim Test alles korrekt abläuft“, erklärt Stadler. Dann wird nicht geschummelt. Sogar jede einzelne Frage wird vorher abgestimmt – Überraschungsfragen darf es nicht geben, sonst wären Ausschläge des Geräts nicht korrekt interpretierbar. Entscheidend sei aber eigentlich gar nicht so sehr die Elektronik, meint Stadler. „Es ist die Psychologie, die Fragen richtig zuzuschneiden.“

Und privat? Nutzt ein Polygraph-Sachverständiger den kleinen Koffer, um die richtige Mathenoten der kids rauszufinden? Klare Antwort, bestimmt nicht gelogen: Da hat ein Lügendetektor nichts zu suchen.

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