Doom und Bass

Schmerz macht süchtig: Die Band Paincake mit einem Funken Dissidenz auf Montage im Bastard

Wenn Berlin mal nicht gerade New York ist, dann wäre es gerne so wie Tokio – das allerdings dann doch wieder mehr so europäisch und ein bisschen weniger asiatisch. Denn unter „asiatisch“ stellt man sich hierzulande übertrieben devote, kleine, alte Männer vor, quiekende, schrillbunt gekleidete Japanerinnen tanzend vor Mixtapes von Madonna oder gelhaarverschmierte Hongkongbewohner bei einer miserablen Elvis-Imitation.

Doch spätestens wenn die Boredoms, Cornelius oder Melt Banana in der Bundesrepublik auftreten, entlarven sich diese vielen Vorstellungen als die eurozentristischen Vorurteile, die sie sind: Japanerinnen und Japaner haben sich, was Montagetechniken und Spielvirtuosität angeht, im Rock die absolute Hegemonie erkämpft. Ihre Musik ist in jeder Hinsicht das Gegenteil von Blues und Retro: Sie ist aktiv, urban, geil.

Wenn nun aber profilierte deutsche Rockmusiker mit einer profilierten japanischen Musikerin eine Band gründen, ist man ratlos. Der eben erst für seine neue Platte „Free Range“ hochgelobte Christopher Uhe (Floor) und der mordssouveräne Szenejunkie Schneider (Schneider TM), zwei Bewohner einer alten DDR-Plattenbauhochhauswohnung, sind von der bewussten Urbanistin Hanayo erwählt worden, um mit ihr „Paincake“ zu backen, also Kuchen süßsauer.

Wer Hanayo kennt, zum Beispiel von ihrer Zusammenarbeit mit dem Doom-Drum ’n’ Basser Panacea, der weiß, dass da kein einfacher Teig angerührt wird. „Paincake verursachen Magenschmerzen. Dieser Schmerz macht süchtig aufgrund ihres Sadomaso-Melodie-Metall-Pop für Kinder, zerbrechliche elektronische Seelen-Sänger, Schlag- und Merkwürdigkeiten kombiniert mit ungehobelt abhängigen Saitenschwingungen, hochgelärmt auf die Gebirge des orgastischen Tinnitus – es gibt kein Zurück.“

So, wie die Sätze des Presseinfos aus verschiedenen Schreibstilen zusammengeklaut sind, und so, wie diese Sätze holpern, werden Paincake voraussichtlich klingen. Zu erwarten ist eine irre Montage quer durch die Bedeutungsfelder. Wer jetzt allerdings Trash sagt, der irrt. Bei aller Albernheit und Wirrnis (Uhe wird als „russischer Pornostar“ angekündigt, Hanayo als „Tischtänzerin aus Saigon“) und auch bei aller Jugendlichkeit geht es weniger um die reine Unterhaltung und ein lustiges Spektakel. Eher ist diese Methode auf Verstörung aus, die hier von allen vielleicht etwas sehr naiv für ein Zeichen von Dissidenz gehalten wird. Doch gilt immerhin die Aussage, dass John Zorns Naked City weitaus mehr die Eltern und Institutionen aufstört als heuer Punk.

Kurz: Paincake zerstören Musik, weigern sich aber danach standhaft, sie wieder aufzurichten. Keine Dekonstruktion, nur Destruktion als produktiver Akt. Und ihre hartnäckige Weigerung sich in ein Muster wie Grindcore, Hardcore, Emocore, Nietencore oder X-core einordnen zu lassen, birgt sogar tatsächlich einen Funken Dissidenz in sich. Denn zu einer wie auch immer gearteten Identitätsbildung taugt diese Musik nicht. JÖRG SUNDERMEIER

Heute ab 22 Uhr, Bastard@Prater, Kastanienallee 7–9, Prenzlauer Berg