Von allen Autos gehetzt

Doch auf innerstädtischen Kurzstrecken sind sie kaum abzuhängen. Fahrradkuriere: fix und manchmal auch ganz schön fertig. Denn weder die Verkehrssituation in den Städten noch das Wetter sind immer auf ihrer Seite

von MATTHIAS PÖPLAU

Atze! Auf diesen schönen Namen hört der wohl bekannteste Fahrradkurier Deutschlands. Atze ist ein Serienheld. Jeden Samstag ist er im Fernsehen zu sehen, in „Dr. Sommerfeld – Neues vom Bülowbogen“. Brav behelmt und mit Nickelbrille. Der Fahrradkurier als solcher scheint salonfähig geworden zu sein. „Dr. Sommerfeld“ jedenfalls präsentiert ihn als sympathische Figur, fix und flexibel.

Schnell sind die realen Fahrradkuriere in der Tat. Rund eintausend von ihnen sind täglich auf den Straßen deutscher Städte unterwegs. Und was sie können, ist sogar in einer Diplomarbeit nachzulesen (Andreas Jahn: „Fahrradkurier-Markt in Deutschland“), die in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband der Fahrradkurierdienste (bdf) entstanden ist. Demnach glänzen die Bike-Messenger durch bis zu 300 Prozent kürzere Überbringzeiten gegenüber Autokurieren. Auf Strecken bis zu fünf Kilometern haben sie nachgewiesenermaßen immer die Nase vorn.

Und das bei jedem Wetter. So sind sich die schnellen Radler nicht zu schade, bei Regen, Schnee, bitterer Kälte oder brüllender Hitze durch die City zu rauschen. Mag auch das äußere Erscheinungsbild darunter leiden – sie wissen: Regen bringt Segen. Weil viele Menschen bei widrigen Witterungsverhältnissen schon kleinere Botengänge nicht mehr selbst ausführen mögen, fahren die Kuriere bei schlechtem Wetter die besten Umsätze ein.

Schnelligkeit und Zuverlässigkeit sind mittlerweile auch die vornehmsten Eigenschaften, die der Kunde am Fahrradkurier schätzt. Hier ist ein Wertewandel festzustellen, konstatiert Andreas Jahn. Noch 1994 ging es den Auftraggebern hauptsächlich um den ökologischen Aspekt. Jetzt werden Fahrradkuriere in erster Linie beauftragt, weil sie die Ware pünktlich ausliefern und dabei noch auf individuelle Kundenwünsche reagieren können.

Dass sie dabei – trotz halsbrecherischer Geschwindigkeit – relativ wenig Unfälle verursachen, ist nach verbreiteter Kuriermeinung der hohen Aufmerksamkeit zu verdanken, mit der sie sich im Straßenverkehr bewegen. Doch Jahn bestätigt, „dass jeder Kurierfahrer täglich von Beinahe-Unfällen berichten kann“. Letztendlich werden die meisten unliebsamen Begegnungen mit motorisierten Fahrzeugen auf verkehrsbauliche Mängel zurückgeführt. Der Forderungskatalog des bdf ist entsprechend gespickt mit Vorschlägen, die zur Sicherheit der Fahrradkuriere und zu besseren Arbeitsbedingungen auf der Straße führen sollen.

Mit der Forderung nach Gleichstellung des Radverkehrs mit dem motorisierten Verkehr will der bdf beispielsweise auf die Benachteiligung durch häufige Rotphasen für Radfahrer und Fußgänger aufmerksam machen. Und dann die Behinderungen auf den Radwegen! „Den Kurieren wird zügiges Fahren unmöglich gemacht, wenn Radwege zu schmal sind, sich durch einen schlechten Zustand auszeichnen, von unübersichtlichen Einmündungen flankiert oder urplötzlich auf der anderen Straßenseite weiter geführt werden“, argumentiert Detlef Peukert vom Fahrrad-Express Bremen. So ist es kaum verwunderlich, dass die erfolgreichsten Fahrradkurierdienste in Städten ansässig sind, die eine innovative Verkehrspolitik betreiben.

Doch längst nicht überall ist die optimale Fahrrad-Infrastruktur verwirklicht. Also bleibt dem radelnden Boten häufig nicht anderes übrig, als da zu fahren, wo die motorisierten Verkehrsteilnehmer sich bewegen beziehungsweise im Stau stehen. Was zu Konflikten führen kann. Schon so mancher Autofahrer fühlte sich durch einen Fahrradkurier seiner grenzenlosen Freiheit beraubt. Da kann sich schon mal das Faustrecht durchsetzen: „Mir hat einmal ein vollkommen ausgerasteter Autofahrer mit dem Gummiknüppel eins übergezogen“, weiß ein Kurier vom Bremer Fahrrad-Express zu berichten.

In einer Tempo-30-Zone sei er ganz normal auf der rechten Seite der Straße vor einem Auto hergefahren. Der wild hupende, hoch erregte und zudem noch hochbetagte Insasse des Wagens bedeutete ihm, den Radweg zu benutzen. Der endete jedoch nach 50 Metern im Nichts. Nach einer „kuriosen Verfolgungsjagd Auto-hinter-Fahrrad“ wurde der Kurier vom Fahrer des Wagens ausgebremst, und es folgte ein knüppeldickes Handgemenge. Immerhin gab es Zeugen. Der Kurier konsultierte einen Anwalt und bekam schließlich ein Schmerzensgeld in Höhe von 500 Mark zugesprochen.

Die Branche nimmt solche Zwischenfälle mit Galgenhumor: Schmerzensgelder aus Übergriffen und unverschuldeten Unfällen rangieren unter „Zuverdienst“. Atze hat ein üppiges Schmerzengeld noch nie kassieren dürfen. Doch auf die Schnauze gelegt hat er sich auch schon. Das geht manchmal auch ohne fremde Hilfe.