Der holprige Weg ins Fahrradies

Was treibt das Volk aufs Fahrrad? Nicht besseres Wetter, sondern eine systematische Förderung wie in Holland, sagen die Befürworter einer velogerechten Verkehrspolitik. Doch so was gibt es nicht zum Nulltarif

von HELMUT DACHALE

Als der ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club) im letzten Herbst seinen 20. Geburtstag feierte, wünschte er sich einen Haufen Geld: 1,5 Milliarden Mark. Und das nicht nur einmal, sondern achtmal hintereinander. Nicht für den eigenen Verein, sondern „für alle Radfahrer in Deutschland“.

Mit der nicht unbescheidenen Forderung möchte der ADFC einen bundesweiten Radverkehrsförderplan auf den Weg bringen. Überall in der Republik müsse dem Volk aufs Fahrrad geholfen werden. Beileibe nicht nur durch die Anlage und Sanierung von Fahrradwegen, sondern etwa auch durch den Bau von Fahrradstationen, die bessere Anbindung an den öffentlichen Verkehr und durch Aufklärungskampagnen, bei denen auch Gesundheit und Ökologie zur Sprache kommen. Vernetztes Denken sei gefragt. Und dazu gehöre nicht zuletzt, sagt der ADFC-Bundesvorsitzende Wolfgang Große, „die Einbeziehung von finanziellen Anreizen, etwa die Einführung der verkehrsmittelunabhängigen Entfernungspauschale“.

Das jetzige Steuerrecht erlaubt Radfahrern, lediglich 14 Pfennig pro Kilometer zwischen Wohnung und Arbeitsstelle geltend zu machen, erheblich weniger als Autofahrern. Eine Nivellierung gehörte zu den Versprechungen der jetzigen Regierungsparteien, doch die schütteln nun den Kopf. Überhaupt habe der Radverkehr „über die jetzt schon fließenden Mittel hinaus“ keine müde Mark mehr zu erwarten, so Volker Mattern, Pressereferent des Verkehrsministeriums. „Für freiwillige Wohltaten haben wir überhaupt keine finanziellen Spielräume.“ Sieht so aus, als ob der ADFC mit seinen Wünschen für einen außerordentlichen Velo-Achtjahresplan in Berlin auf Granit beißt.

Dafür hat er jetzt in Bonn Mitstreiter gefunden – im Bundesvorstand des VCD (Verkehrsclub Deutschland). Dessen Vorsitzende Ute Wiegand-Nehab signalisiert Zustimmung: „Ein derartiger Plan sollte eingebettet sein in einen bundesweiten Verkehrsplan, er könnte aber auch dafür Vorreiter sein.“ Feine Unterschiede sind indes zu erkennen: Während der ADFC die Ausweitung des Radverkehrs als Ziel an sich postuliert, geht der VCD von der Notwendigkeit der CO2-Reduzierung aus. „Um das zu erreichen“, sagt Ute Wiegand-Nehab, „brauchen wir mit Sicherheit eine massive Förderung des Fahrradverkehrs, aber eben auch eine massive Förderung des ÖPNV und des Fußverkehrs.“

In einem Punkt herrscht in beiden Vorständen – die zusammen immerhin 170.000 Mitglieder repräsentieren – volle Übereinstimmung: Wer dem Fahrrad den Weg frei machen will, muss sich an den Niederlanden orientieren. „Masterplan Fiets für Deutschland“ heißt die Parole. In Holland war eine gleichnamige Projektgruppe im Verkehrsministerium von 1990 bis 97 der Motor für ein gigantisches Programm (siehe Kasten). Angeleiert wurde von oben, angesprochen wurde die Bevölkerung, und die Umsetzung zahlreicher Einzelmaßnahmen betrieben vor allem die Kommunen und Provinzen. Auch Geld floss: 270 Millionen Gulden an staatlichen Zuschüssen. Der niederländische Radverkehrsanteil – allerdings immer schon außergewöhnlich hoch – liegt jetzt bei 28 Prozent, in einigen Städten wie etwa Groningen wird bereits jeder zweite Weg auf dem Rad zurückgelegt.

Der Durchschnittswert in Deutschland dümpelt bei 11 Prozent vor sich hin. Ebenfalls nicht berauschend die zurückgelegten Radkilometer, die pro Jahr und Bundesbürger mit 300 angegeben werden. Spitze dagegen die Zahl der Fahrräder, die bei uns herumfahren oder eher irgendwo herumstehen: etwa 75 Millionen. Da kommen die Autos, gemessen an der Stückzahl von 42 Millionen, nun wahrlich nicht mit.

Dem ADFC schwebt ein Radverkehrsanteil von 35 Prozent vor. Wolfgang Große verweist auf Vorzeigestädte wie Münster, wo diese Marke sogar noch getoppt wird. Doch der Blick auf deutsche Städte offenbart auch deutsches Radfahrerelend. Der weitaus größte Teil der Radfahrten fällt in den Kommunen an. Doch gerade dort sind zu häufig holprige und zu enge Radwege die Regel. Fahrradabstellanlagen oder gar -stationen? Fehlanzeige. Die Kommunen haben kein Geld oder geben es für andere Dinge aus. Der Bund kümmert sich nur um den Ausbau von Radwegen an Bundesstraßen und stellt außerdem jährlich rund 3,3 Milliarden nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz zur Verfügung. Die reichen die Bundesländer häppchenweise an ihre Kommunen weiter – da fällt auch mal für den Radverkehr was ab.

Ansonsten habe der Bund beispielsweise mit der Änderung der Straßenverkehrsordnung von 1997 prächtige Steilvorlagen gegeben, meint Volker Mattern. Die Städte müssten jetzt ran und die radfreundlichen Regelungen wie 1,50 Meter breite Radwege (je Richtung) verwirklichen. Doch die machen’s meistens nur dann, wenn ihr Bundesland Druck macht oder als zusätzlicher Geldgeber auftritt. Wie es ausnahmsweise in Nordrhein-Westfalen der Fall ist. Dort existiert unter anderem ein Programm zum Aufbau von Fahrradstationen, in das bisher 42 Millionen Mark aus Landesmitteln gepumpt wurden. Und im NRW-Aktionsplan zur Förderung des Radverkehrs spricht man sich für generelles Tempo 30 in Wohngebieten aus – auch damit werde „den Radfahrern ein sicherer Straßenraum bereitgestellt“.

Insofern herrscht auch bei den Lobbyisten für eine fahrradgerechte Verkehrspolitik die Meinung vor, gute Ansätze seien auch hier zu Lande nicht zu übersehen. Jetzt gehe es darum, sie zu vernetzen, Best-Practice-Beispiele auszutauschen und Fahrradförderung überall auf die Tagesordnung zu setzen. Eben mit Hilfe eines Masterplans Fahrrad. Doch wie soll er durchgesetzt werden, wer besorgt das Geld? Werden ADFC und VCD ihre Mitglieder mobilisieren, zu Demonstrationen aufrufen? Auf solche Fragen antwortet Wolfgang Große gern mit einem Zitat, das dem legendären Jan Tebbe, Gründer des Fahrradclubs, zugeschrieben wird: „Andere demonstrieren vor dem Rathaus, wir verhandeln drinnen.“