Zweifel an den schönen Worten

Bei den deutsch-polnischen Regierungskonsultationen in Gnesen geriert sich Bundeskanzler Gerhard Schröder als Anwalt Polens in Sachen EU-Beitritt. Doch Warschau will an die Rolle Berlins als Lokomotive nicht mehr so recht glauben

aus Warschau GABRIELE LESSER

Die Vorstellung, dass ein deutscher Bundeskanzler im westpolnischen Gnesen (Gniezno) einmal Eichen pflanzen könnte, hätten die meisten Polen vor wenigen Jahren noch für unmöglich gehalten. Der Hinweis auf „die Geschichte“ hätte alles erklärt. Dass Bundeskanzler Gerhard Schröder gestern doch zum Spaten griff, hat auch mit Geschichte zu tun. Vor 1.000 Jahren hatten sich in Gnesen Kaiser Otto III. und Fürst Boleslaw der Tapfere getroffen und sich am Grab des heiligen Adalbert ewige Freundschaft geschworen. Damit wurde der junge polnische Staat in die europäische Völkerfamilie aufgenommen. Polen hat zu den Milleniumsfeiern in diesem Jahr nicht nur Bundeskanzler Schröder, sondern auch die Ministerpräsidenten der Visegrád-Staaten Ungarn, Tschechien und der Slowakei eingeladen.

Gestern verabschiedeten die Vertreter der fünf Staaten eine Erklärung. Darin heißt es, gemeinsames Ziel sei es, ein Europa freier Gesellschaften zu schaffen, die in Frieden, Sicherheit und Wohlstand leben könnten. Gemeinsam wolle man Gefahren entgegentreten, denen kriegerische Nationalismen, Fremdenhass, Rassismus und totalitäres Gedankengut zu Grunde lägen.

Auf Bitten des polnischen Ministerpräsidenten Jerzy Buzek war der Ort für die diesjährigen Regierungskonsulationen von Deutschland nach Polen verlegt worden. Dass dann von den eingeladenen sieben deutschen Ministern nur zwei kamen, hatte für Missstimmung gesorgt. Als Schröder den Polen versicherte, dass Deutschland sein Versprechen halten und Polen weiter beim EU-Beitritt unterstützen werde, war das die wichtigste Meldung in den Hauptnachrichten des polnischen Fernsehens.

Seit Monaten mehren sich in Polen die Zweifel am Nachbarn Deutschland. Nach dem Motto „Was nutzen uns die schönen Worte, wenn ihnen keine Taten folgen“, wollten es die Polen diesmal genau wissen und fragten direkt, ob Deutschland nicht seine Rolle als europäische Lokomotive leid sei. Grund dazu gab ihnen unter anderem eine Expertise des Deutschen Industrie- und Handelstages. Danach könne Polen der EU erst 2005 beitreten und nicht 2003, wie von Polen angepeilt. Die Unternehmer begründen die weitere Verschiebung der Aufnahme mit der Verlangsamung des Wirtschaftswachstums in Polen. Außerdem müsse das polnische Parlament noch 180 Gesetze verabschieden, um sich für den Beitritt zu qualifizieren.

Ministerpräsident Jerzy Buzek setzte dem entgegen, dass Polen wisse, welche Hausaufgaben noch zu machen seien. So werden die EU-Gesetze in einem besonderen Schnellverfahren verabschiedet. Dass noch ausstehende Fragen in den Verhandlungen – wie Landwirtschaft, innere Sicherheit und die Freizügigkeit für Arbeitnehmer – schwierig seien, wisse Polen auch. Aber, so Buzek, „deshalb verhandeln wir ja“. Er erwarte auch ein Entgegenkommen von der EU. Die deutsche Wirtschaft, so erklärten beide Regierungschefs, solle sich stärker in Polen engagieren. Der EU-Beitritt könne umso schneller vollzogen werden, je stärker die Wirtschaften beider Länder schon heute verflochten seien.