zahl der woche
: 60 Milliarden Dollar für die US-Rüstungsindustrie

TEURE WELTRAUMTRÄUME

Wenn die Wirtschaft seit einem knappen Jahrzehnt boomt und die Staatskassen prall gefüllt sind, kann man sich schon mal ein neues Hightech-Spielzeug leisten. Das meint jedenfalls das US-amerikanische Militär. Das umstrittene Raketenabwehrprogramm „National Missile Defense“ (NMD) soll die USA vor einem Raketenangriff schützen, indem die anfliegenden Projektile in der Luft vernichtet werden. Davon träumte schon Präsident Ronald Reagan mit seiner „Strategischen Verteidigungsinitiative“ SDI. Ob NMD nun klappt, ist mehr als ungewiss – was aber bei dem Programm auf jeden Fall im großen Umfang verschwinden wird, ist das Geld der Steuerzahler: 60 Milliarden US-Dollar soll die NMD kosten, hat jetzt das Congressional Budget Office des US-Parlamentes errechnet. Das Militär hatte die Kosten bisher nur halb so hoch angesetzt.

Verloren geht das Geld natürlich nicht. Es fließt an die Firmen, die die Idee der Unverwundbarkeit propagieren und umsetzen. Und von diesem gewaltigen Kuchen sichern sich die US-Rüstungsfirmen ein gutes Stück. Das Konsortium der Entwicklungsfirmen wird angeführt von der Nummer eins am globalen Himmel, der Luftfahrt- und Waffenschmiede Boeing. Die Firma mit Sitz in Seattle entwickelt die Radaranlagen, die Kommunikationsanlagen und die Abfangraketen für die NMD und hat dafür vom Pentagon gerade zwei Millionen Dollar überwiesen bekommen – obwohl US-Präsident Clinton erst im Sommer entscheiden wird, ob NMD überhaupt funktioniert und gebraucht wird. Der Rüstungskonzern Raytheon ist bei den Entwicklern ebenfalls vertreten und arbeitet am Radarsystem, das von Satelliten aus die feindlichen Raketen erfassen soll. Auch das „Außeratmospährische Kill-Vehikel“ (EKR), das die anfliegenden Raketen zerstören soll, wird bei Raytheon entwickelt.

Selbst die härtesten Konkurrenten arbeiten bei Pentagon-Aufträgen manchmal zusammen. Schließlich hat die amerikanische Rüstungsindustrie in den Neunzigerjahren einen dramatischen Konzentrationsprozess erlebt, von dem nur drei große Unternehmen übrig geblieben sind: Boeing, Raytheon und Lockheed. Boeing schluckte 1995 den Flugzeugbauer McDonellDouglas, Lockheed übernahm 1997 Northrop/Grumman. Hintergrund der Fusionitis waren die Budgetkürzungen im US-Verteidigungssektor Anfang der Neunzigerjahre nach dem Ende des Kalten Krieges.

Wäre die NMD nicht auch eine gewaltige Geldspritze für die Entwicklung neuer Hightech in den USA? Daran zweifelt Bernd Kubbig von der Forschungsgruppe Rüstungskontrolle bei der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. „Bei Reagans SDI haben sich die Waffenlaboratorien und viele Universitäten eine goldene Nase verdient, weil sehr viel in Forschung und Entwicklung investiert wurde. Nach allem, was man bisher über NMD weiß, soll hier das Geld aber mehr für die Hardware, also Raketen, ausgegeben werden.“ Auch stimme das Argument nicht mehr, dass die zivile Computerbranche von der militärischen Entwicklung profitiere: „Inwischen ist das Gegenteil der Fall, weil die Zivilisten weiter sind als die Militärs.“

BERNHARD PÖTTER