Segelndes Klassenzimmer zurück

■ Nach 11.848 Seemeilen geht ein ungewöhnliches Schulhalbjahr zu Ende

Wilhelmshaven – Dieses Schulhalbjahr werden neun Mädchen und 16 Jungen so schnell nicht vergessen. Nicht in ihren heimatlichen Schulen, sondern in einem segelnden Klassenzimmer absolvierten die Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 18 Jahren aus sechs Bundesländern in den vergangenen sechs Monaten den Unterricht. Für 182 Tage war der Dreimaster „Thor Heyerdahl“ ihre Schule. Am 30. Oktober vergangenen Jahres waren sie von Wilhelmshaven aus in See gestochen. Am Wochenende machten sie dort nach 11.848 Seemeilen wieder fest.

Zusammen mit sechs Lehrkräften und elf Mann Stammbesatzung reisten die Jugendlichen auf engem Raum in dem 48-Meter-Schiff um die halbe Welt. Unterricht gab es an Bord in allen wichtigen Fächern, eine seemännische Ausbildung und jede Menge „Erfahrung fürs Leben“.

Die Schülercrew fuhr auf dem Kurs, den der Naturwissenschaftler Alexander von Humboldt auf seiner Forschungsreise 1799 genommen hatte: Santa Cruz auf Teneriffa, Cumanß in Venezuela, Kingston auf Jamaika, Trinidad auf Kuba, Philadelphia in den USA. Kapitän Detlef Soitzek aus Kiel, dem Heimathafen der „Thor Heyerdahl“, lobte die Jugendlichen. Auch unter modernen Bedingungen hätten sie eine – erst auf der Reise erlernte – gute seemännische Leistung vollbracht. Auf der letzten Etappe vom französischen Cherbourg nach Wilhelmshaven hätten sie das Schiff praktisch selbstständig geführt.

Für Dramatik sorgte die große Politik. Bis zur letzten Stunde herrschte Ende März Unsicherheit, ob das geplante Einlaufen in Philadelphia gelingen würde. Als unsichtbare Barriere vor dem US-Hafen stand ein rund 40 Jahre altes Embargo-Gesetz: Es verbietet das Anlaufen nordamerikanischer Häfen für Schiffe, die – wie die „Thor Heyerdahl“ – direkt aus Kuba kommen.

Für Einwanderungs- und Hafenbehörden, Zoll und Konsulate blieb das Problem offenbar unlösbar, berichtete der Leiter des Schul-Segel-Projekts, Hartwig Henke, von der Hermann-Lietz-Schule in Spiekeroog. Kapitän Soitzek erwog nach eigenen Worten bereits ein Abdrehen zu den Bermudas. Das Bundespräsidialamt öffnete dann in letzter Minute eine diplomatische Tür in Washington und ermöglichte das Einlaufen.

Manfred Protze/dpa