Der Apfel der Versuchung – oder Bisamtod

■ Der Bisam ist eigentlich ein sehr erfolgreiches Tier: Europa hat er erobert, viele Weibchen verführt und massenhaft Deiche zerstört / Am Ende erwarten den ruderfüßigen Ami dafür dann aber auch zwei nicht ganz so schöne Dinge: der Jäger und die Tiefkühltruhe

Der Bisam ist ein Siegertyp, und die Geschichte seines Volkes erzählt von Pioniergeist, Gemeinsinn und einem Faible für sexuelle Eskapaden. Wie jeder ordentliche Amerikaner hat er sich auf den Weg nach Westen gemacht: Wegen seines guten Winterfells zur Jahrhundertwende in Böhmen angesiedelt, wühlt sich Ondrata zibethicus (Familie: Wühler) heutzutage durch Dämme und Deiche in fast ganz Europa. Seit jeher denunzieren ihn Neider als „Ratte“. Doch es kommt noch schlimmer.

„Der hat nix mitgekriegt“, sagt Matthias Rachfallak (37), und zieht einen mausetoten Bisam aus dem Verbindungskanal in Niedervieland. Es riecht nach Moschus, mit dem die drüsigen Bisam-Männer normalerweise ihre Frauen anlo-cken. Doch zum mehrstündigen „Paarungsschwimmen“ wird das Exemplar in Rachfallaks Abzugseisen keine Gelegenheit mehr haben. Die Diagnose des Bremer Bisamjägers, der seine durchnässte Beute auf die Uferböschung gelegt hat: Genickbruch, wie immer.

In „99,9 Prozent“ aller Fälle seien die gefangenen Tiere auf der Stelle tot, so Rachfallak. Die waffeleisengroße Apparatur mit dem starken Metallbügel hat er auf ein Holzbrett montiert und im Schilf unterhalb eines Schöpfwerks verborgen. Die Bisams, die wissen, was gut ist, entspannen sich auf der Plattform von der ständigen Schwimmerei und entdecken – den Apfel der Versuchung. Wird der Köder angehoben, schnappt die Abzugsfalle zu. Eine „Picksicherung“ soll Vögeln den Hals retten.

Zurück zur Speisekarte: „Möhren trocknen zu schnell aus, wenn die Sonne richtig knallt“, weiß der Fallensteller aus Lemwerder. Rettich und Sellerie gehen auch, nur frisch müssen sie sein. Doch Äpfel mögen die Nager, die wie eine Mischung aus Biber und Ratte wirken, besonders. Im Herbst kommen die praktischerweise „halbaquatischen“ Bisams, die drei Pfund schwer und bis zu 40 Zentimeter lang werden können, in manchen Stadtteilen bis in die Gärten, um sich die Bäuche mit Fallobst vollzuschlagen. Doch das ist nicht der Grund, warum Rachfallak ihnen nachstellt.

Die Bisams bauen weitverzweigte Gangsysteme, und das finden eigentlich nur sie und ihre vielköpfigen Familien richtig. Uferabbrüche, rutschende Deichböschungen und Unterspülungen sind die Folgen der kollektiven Wühlerei, die der „Deutsche Verband für Wasserwirtschaft und Kulturbau“ in einem Merkblatt beklagt. Kurzum: Die Viecher gefährden die „Standsicherheit“ von allem, was Wasserbauern lieb und teuer ist. In Bremen soll vor Jahren sogar ein Teil des Weserdeiches unterminiert worden sein. Solche Attentate trachtet Rachfallaks Arbeitgeber, der Bremische Deichverband am linken Weserufer, zu verhindern. 120 Kilometer Gewässer, 21 Pumpwerke, 63 Kilometer Deiche – jede Menge Bauland für die Bisams. Und die Gestade an der Unterweser sind eine Hochburg der ruderfüßigen Amis.

Bisam-Jäger Rachfallak – ölverschmierte Latzhose, Karohemd, Arbeitshandschuhe – steigt in seinen orangefarbenen VW-Bulli, um die nächsten Fallen zu kontrollieren. Im Hintergrund qualmen die Hochöfen, neben der Piste lauern die Graureiher auf Niedervieländer Froschzeug. Schon als Junge hat Rachfallak auf der anderen Weserseite – an der Wümme – Bisams gefangen, die abgeschnittenen Schwänze aufs Amt gebracht und Prämien kassiert. Heute erwischt er im Herbst und im Frühjahr, wenn die Bisams wandern, bis zu 15 Tiere pro Woche. Der Lohn: Ein Zusatzeinkommen für den Maschinenschlosser beim Deichverband. Seine zehn Fallen kontrolliert er auf dem Nachhauseweg. Am Wochenende haben die Nager ihre Ruhe.

„Mir macht's Spaß“, sagt Rachfallak, obwohl er keine sehr gute Meinung von seiner Beute hat. „Ein ziemlich plumper Fänger.“ Immerhin, man müsse ein Gefühl dafür entwickeln, „wohin der Bisam zieht und wohin er nicht zieht“. Und: Die Tiere mit dem schuppig-behaarten Schwanz sollen ganz gut schmecken, „gehen sie mal in Richtung Karnickel.“ Rachfallak, der früher mal als „echter“ Jäger mit der Flinte losgezogen ist, bezeichnet sich heute als passionierten Bisamfänger. An den Erfolg seiner Fallenstellerei glaubt er indes nicht: So könne man der „Plage“ niemals Herr werden.

So sieht man das auch beim Deichverband: Früher, als man noch Reusenfallen benutzen durfte, seien mehr als 1000 Bisams im Jahr gefangen worden, so Geschäftsführer Rainer Suckau. In deren Verbot sieht er „eine große Erschwernis unserer Arbeit“, die seit 1995 gesetzliche Pflicht und durch die bremische Bisamverordnung geregelt ist. Seiner Meinung nach ertrinken die tauchbegabten Tiere bei der Reusen-Methode nicht jämmerlich, sondern werden bewusstlos, um dann gewissermaßen ganz entspannt zu verrecken.

Zum Finale landen die Gemeuchelten auf jeden Fall in einer großen Tiefkühltruhe der Firma Bosch, um später dann steifgefroren zur Tierkörperverwertung chauffiert zu werden. Ihren letzten Weg treten sie übrigens ohne Schwänze an: Die werden abgeschnitten und in Alkohol eingelegt. „Man hat ja sonst keine Quittung“, so Rachfallak.

Heutzutage steuern die zwei Bisamjäger des Deichverbandes links der Weser nur noch besonders gefährdete Bereiche an – wie etwa die Umgebung von Pumpwerken – und erledigen auf erlaubte Art und Weise 200 bis 300 Tiere jährlich. Das finden dann sogar die Naturschützer vom BUND O.K. Schließlich sind die Bisams „Faunenverfälscher“ aus der Fremde, die an den Grundfesten der bremischen Existenz knabbern – den Deichen eben.

Doch der Vormarsch der Nagezähne und ihrer Verwandten scheint nicht zu stoppen: Die Nutrias, füllige Sumpfbiber, die in der ehemaligen DDR als Pelztiere gezüchtet wurden, haben sich ein Beispiel an den Bisams genommen und sich auf den langen Treck gen Westen gemacht. In der Lüneburger Heide sollen sie schon angekommen sein. hase