Hat die Miesmuschel jetzt ausgeschlürft?

■ Studie gibt Muschelfischern Schuld am dramatischen Rückgang niedersächsischer Miesmuschelbestände / Experten befürchten: Bauprojekte ersticken Muscheln

Etwas Salz, Pfeffer, zwei Tro-pfen Zitronensaft und „schlürf“. Miesmuscheln sind einfach lecker. Ist jetzt Schluss mit dem glibbrigen Genuss? Glaubt man der aktuellen Studie des niedersächsischen Landesamtes für Ökologie (NLÖ), dann sind bis 1996 die gesamten Miesmuschelbestände im tideabhängigen Küstenbereich Niedersachsens auf nur noch zwei Prozent ihres eigentlichen Umfanges zusammengebrochen.

Der dramatische Miesmuschelrückgang war schon früher bekannt. Seine Ursachen konnten nur vermutet werden. Dass jetzt die Diskussion so aufgeregt geführt wird, liegt daran, dass die Studie des NLÖ, einer Institution des Landes Niedersachsen, fordert, die Muschelfischerei möglicherweise einzuschränken. Kernaussage der Studie: Befischte Muschelbänke oder Bänke von denen die Fischer Saatmuscheln entnommen haben, brechen schneller und nachhaltig zusammen. Mehr jedenfalls, als Bänke, die unbefischt blieben. Auch die reduzieren sich aber. Zwar führt die Studie noch andere möglichen Ursachen des Muschelschwundes an, aber die Befischung, so das Fazit, könne als eine Ursache am „einfachsten“ beeinflusst werden. „In Zeiten des Bestandaufbaus müssen Eingriffe eingeschränkt werden“, fasst Hermann Michaelis, Dezernatsleiter der Forschungsstelle Küste auf Norderney und Mitautor der Studie zusammen.

Umweltverbände frolocken. So wollen die Muschelfischerei im Nationalpark Wattenmeer ganz einstellen. Überdies fischten die Fischer mehr Muscheln, als sie vom vorhandenen Bestand her eigentlich sollten, schimpfen sie. Die Sprecherin der Muschelfischer, Manuela Gubernator, widerspricht den Naturschützern von WWF, BUND und NABU heftig. Selbst Wissenschaftlerin und ehemalige Angestellte der Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven, findet sie schwere methodische Mängel in der NLÖ-Studie. Trotzdem verschweigt auch sie nicht, dass zumindest bis 1996 die Muschelbestände an der niedersächsischen Küste eingebrochen sind. In der Vergangenheit musste schon mal auf eine Ernte verzichtet werden.

Den Muschelschwund begründet die NLÖ-Studie auch mit Parasitenbefall, schwerem Eisgang, Umweltverschmutzung und zunehmenden Schwebstoffanteilen im Wasser. „Wenn wir ganz ehrlich sind, dann kennen wir die eigentlichen Ursachen des Muschelschwundes noch gar nicht“, meint Autor Hermann Michaelis. Und Wolfgang Hagena, Chef des staatlichen Fischereiamtes in Bremerhaven: „Die unerforschten Ursachen des Muschelschwundes sind für mich Wetter, veränderte Windverhältnisse, Eisgang und Schwebstoffe. Aber die Schwebstoffe sind ein heißes politisches Thema. Da wagt sich keiner ran.“

In der Tat. Aus der Sicht einer täglich bis zu 28 Liter Frischwasser schlürfenden Miesmuschel sind Schwebstoffe der Tod. „Wegen der Schlickablagerungen können sich die Jungmuscheln nicht im Boden verwurzeln und werden bei Sturm weggeschwemmt“, meint die Sprecherin der Muschelfischer, Manuela Gubernator.

Woher kommen die Schwebstoffe? „Verklappungen, Baumaßnahmen und so weiter, untersucht hat noch niemand. Diese Diskussion würde alle Küstenanrainer in schwere Probleme bringen“, befürchtet der Bremerhavener Fischereiamtsleiter Hagena. Es ist nämlich üblich, Hafenschlämme in die Nordsee zu verquirlen oder zu verklappen. So tat es das Land Bremen, bis es ihm von Niedersachsen verboten wurde – wegen der Tributylzinn-Verseuchung des Schlammes. Niedersachsen verquirlt aber selbst Hafenschlämme ins Wattenmeer. Größere Bauvorhaben wie Europipe oder die Verlegung von Kabel wirbeln regelmäßig Schlamm auf. Der Bau des Containerterminals in Bremerhaven oder der geplante Tiefseehafen in Wilhelmshaven oder Cuxhaven sind dann aus der Perspektive einer Muschel schlammiger Mord.

Dabei hat sich die Bundesrepublik in trilateralen Regierungsabkommen mit den Niederlanden und Dänemark geeinigt, die Muschelbestände zu schützen (1991, Esbjerg; 1997, Stade). In diesem Zusammenhang wurde in Deutschland die Herzmuschelfischerei verboten und 1998 ein Muschelmanagement-Plan für das Land Niedersachsen erstellt. Dagegen erhoben allerdings ostfriesische Umweltverbände Einspruch vor der EU-Kommission in Brüssel. BUND, NABU und WWF klagten vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg gegen den Management-Plan. Sie waren am Zustandekommen des Planes nicht beteiligt worden.

Obwohl im letzten Jahr die vier niedersächsischen Muschelfischer trotz allem eine Rekordernte von 16.000 Tonnen Muscheln (neun Prozent der gesamten Muschelanlandungen an der Nordseeküste) einfuhren, Grund zum Jubeln gibt es nicht. Auch wenn die meisten Bremer Fischläden ihre Muscheln aus Schleswig-Holstein beziehen, die Frage für die Zukunft bleibt: Häfen bauen oder Muscheln?

Thomas Schumacher