Hurra, ein neuer Ismus!

Was steckt in „Big Brother“ – Sinn oder Leben? Das war hier die Frage. Klaus Biesenbach, Christoph Schlingensief, Thomas Ostermaier und noch ein paar mehr diskutierten über das Schlagwort Optionismus

Ideologisch bestens vorbereitet war der Optionismus-Kongress, der am Sonntag in den Kunst-Werken stattfand. Auf Plakaten in der Umgebung des Veranstaltungsortes forderten die Teilnehmer Klaus Biesenbach und Christoph Schlingensief, deren Köpfe in das Layout eines alten CDU-Wahlplakats einmontiert waren, den Betrachter heraus: „Komm heraus aus deiner linken Ecke“. War das ein Vorwurf gegen die beiden, oder hatten sie das Plakat doch selbst kleben lassen? An verschiedenen Stellen wies man zudem groß auf die Veranstaltung hin. In der Welt und auf den Berliner Seiten der FAZ schließlich waren große Artikel erschienen, in denen Stefan Heidenreich und Biesenbach den neuesten Ismus präsentierten. Der Begriff Option ist der Börsensprache entlehnt, dort werden Optionsscheine auf zukünftige Käufe bereits selbst zum Handelsgegenstand.

Für die Kunst sollte der Begriff nun bedeuten ... – ja was eigentlich? Bereits in den Vorfeldartikeln schienen sich Heidenreich und Biesenbach uneins zu sein. Während Biesenbach nicht ohne Larmoyanz unsere Unvereinbarkeit mit dem Fernseher beklagte, die sich in der Kunst darstellen sollte, begriff Heidenreich eben diese Medienwelt als Chance für die Kunst. Auf dem Podium, von seinem Moderator Bazon Brock beherrscht wie nur einst die Partei von Dr. Kohl, mühte man sich um eine gemeinsame Begriffsbildung, doch bis auf den eloquenten Gebrauch des Wortes Option ließ sich dort nichts mit niemandem vereinbaren.

Thomas Ostermaier verteidigte die Schaubühne, Schlingensief griff sie für ihren sozialen Gestus an. Biesenbach verteidigte sich selbst und seine Austellungsräume. Florian Illies suchte Sinn in „Big Brother“. Schlingensief fand darin das „Leben“ wieder. Ostermaier forderte für die Bühne das Recht der Straße zurück und griff den abwesenden Peymann an, dem er „Kunstfürstentum“ vorwarf, da er ihn offensichtlich mit Diepgen verwechselte. Johannes Kahrs berichtete, dass er in L. A. gewesen sei, und dort habe er etwas erlebt, was ihn an den Begriff Option erinnere. Der Medienwissenschaftler Wolfgang Ernst schlug raffiniert vor, den Begriff des Optionismus gleich wieder zu begraben. Draußen im Hof sang ein Chor, irgend jemand faselte von Musils Möglichkeitsmenschen, und am Ende bewies Bazon Brock, wie sehr er es liebt, Kritik an seinem Gerede für einen eigenen Einfall auszugeben.

Schrie irgendwo ein Käuzchen? Wir hörten es nicht. Stattdessen sahen wir eine langweilige Diskussion, mit der Spektakelisten und Moderne-Moden-Vertreter versuchten, sich im Gespräch zu halten. Einer der wenigen interessanten Beiträge wurde von Brock rigoros abgewürgt, nämlich Heidenreichs Kritik an Ostermeiers Theaterkonzeption, der er Konservativismus vorwarf, den die Schaubühne gerade durch das Behaupten eines „wahren Lebens“ betriebe. Der Einwand aus dem Publikum, dass sich hier ausschließlich alte Säcke in Avantgarde übten, wurde erst recht nicht behandelt. Lieber beschimpfte Brock in einem sozialdemokratischen Radikalanfall die Wirtschaft, die er für blöd und verantwortungslos erklärte, obschon er selbst offensichtlich weder den Grund für die geplante Fusion von Dresdner und Deutscher Bank noch deren Scheitern begreifen kann.

Aber es ging ja auch wirklich um nichts: Fazit der ganzen Veranstaltung war, dass Kunst mal was tun könne. Dann konnte man in Schlingensiefs neuem Filmclub, ebenfalls in den Kunst-Werken, einen Schlingensief-Film sehen. Oder im Garten Trampolin springen. Oder Bier trinken. Die Kinder spielen lassen. Die Abendsonne genießen. Es war also eigentlich nur ein Straßenfest mit Kulturgehupe. Das Baumblütenfest oder die Lampionfeiern hatten an diesem Abend eine gewichtige Konkurrenz. JÖRG SUNDERMEIER