„Man kennt die Schläger“

Weil zu wenig gegen die Gewalt im argentinischen Fußball unternommen wird, streikten am Wochenende die Spieler aller Ligen. Die Hooligans sind oft Handlanger der Vereinsfunktionäre

aus Buenos Aires INGO MALCHER

Ausgerechnet am wichtigsten Wochenende im Jahr blieb Argentinien fußballfrei. Wenn River Plate gegen die Boca Juniors zum Lokalderby in Buenos Aires antritt, spaltet sich das Land in zwei Hälften. Raushalten kann man sich nicht. Doch diesmal fiel auch das Schlagerspiel aus, als alle Stadien in Argentinien leer blieben. Statt der Stimmen aufgeregter Live-Reporter, die es ohne Probleme auf zehn Wörter pro Sekunde bringen, jammerten aus den Radios depressive Tangosänger. Kein Fußballmatch nirgendwo. Der Grund: Die Profis aller fünf Ligen streikten gegen die Gewalt in den Stadien.

Mittlerweile gehören Nachrichten über Prügelorgien anlässlich der Spiele schon wie die Tabellenplätze zum Standardrepertoire einer jeden Sportsendung. In den vergangenen drei Monaten sind bei Auseinandersetzungen in Argentiniens Stadien sechs Menschen ums Leben gekommen. Aber auch Spieler auf dem Feld sind nicht mehr sicher. Feuerwerkskörper, Steine und faules Obst werden auf sie geschleudert, prominentestes Opfer eines Wurfgeschosses war kürzlich der Paraguayer Chilavert, Torhüter bei Velez Sarsfield.

Adrián Barrionuevo, Spieler in der zweiten Liga, hatte am Sonntag vor einer Woche das Pech, dass sein Klub beim Auswärtsspiel dem Gastgeber ein Unentschieden abtrotzte. Mit lautem Gebrüll stürzten sich die gegnerischen Fans auf Barrionuevo und seine Teamkameraden. Als er versuchte, in die Kabine zu flüchten, stürzte er und wurde fast zu Tode geprügelt. Barrionuevo liegt noch immer im Krankenhaus. Ein Psychiater, der ihn behandelt sagte: „Jedesmal, wenn vom Fußball die Rede ist, bekommt er Angst.“ Barrionuevo verdient bei seinem Klub nicht ganz 500 Mark im Monat.

Die Hooligans terrorisieren Spieler und Vereine. Niemand wagt es, das Problem ernsthaft anzugehen. „Alle haben Angst“, sagt der Zivilrichter Victor Perrota. Vor gut einem Jahr fasste Perrota seinen ganzen Mut zusammen und machte sich zum unbeliebtesten Mann Argentiniens: Wegen mangelnder Sicherheitsvorkehrungen unterbrach er den Ligabetrieb. Geschehen ist seither nichts. „Die Gesetze, die in diesen Fällen zur Anwendung kommen, haben zu viel Spielraum. Sie müssten viel enger gefasst werden“, fordert Perrota.

Aber es sind nicht nur die Gesetze. Von Seiten der Vereine und des Argentinischen Fußballbunds (AFA) sind bislang eher bescheidene Versuche unternommen worden, die gewalttätigen Auseinandersetzungen in den Griff zu kriegen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Klubs mit den Hooligans paktieren. Sie brauchen die wilden Horden, um die Stimmung im Stadion anzuheizen. Die Hooligans werden gelegentlich auch zum Spielball der Verantwortlichen. Will ein Klub seinen Coach loswerden, hetzt er sie auf ihn. Dann tauchen im Stadion Transparente gegen den Trainer auf und in den Liedern vom Fanblock wird er „Hurensohn“ genannt. Hin und wieder kann es vorkommen, dass sie sein Auto in ein Wrack verwandeln. Oder sie nehmen ihn sich persönlich vor, um ihm nahezulegen, dass es seiner Gesundheit schaden könnte, wenn er nicht zurücktritt.

Aber nicht nur die Klubs machen sich die Hooligans zunutze. Braucht eine Partei im Wahlkampf noch Jubelperser, die auf Kundgebungen einen Politiker anfeuern, so wendet sie sich vertrauensvoll an einen Fußballklub, dessen Präsident dasselbe Parteibuch hat. Und schon sind hunderte von erfahrenen Stimmungskanonen unterwegs.

Dass die Hooligans so uneingeschränkt schalten und walten können, liegt nach Ansicht von Jorge Dominguez, Generalsekretär der einflussreichen Fußballergewerkschaft, daran, dass sie immer mit einem blauen Auge oder weniger davonkommen. „Hier weiß doch jeder, dass einem Schläger nichts passiert. Der geht beim Untersuchungsrichter zur einen Türe rein und kommt Minuten später zur anderen grinsend wieder raus. Unbelästigt. Und der kennt dich, er droht dir und kommt wieder. Würdest du unter diesen Umständen jemanden verklagen?“

Spieler und Klubpräsidenten hätten genauso Angst wie alle andern oder noch mehr. „Man kennt doch die Schläger“, sagt Dominguez. „Alle großen Vereine haben heute Videokameras zur Überwachung im Stadion, auf denen man genau sehen kann, wer was macht.“ Allein, es fehlt am Willen.