Üble Habsburger und gute Menschenrechte

Der renommierte Friedensforscher Johan Galtung kultiviert bei seiner Analyse des europäischen Status quo Verschwörungstheorien

Zur Expo 2000 wird verschärft in die Zukunft gedacht: Für die „Visionen für das 21. Jahrhundert“, eine Zwölfbändereihe des Campusverlags, meldet sich der renommierte Friedens- und Konfliktforscher Johan Galtung in Sachen Menschenrechte zu Wort.

Seine Vision ist schon im Untertitel zur „Zukunft der Menschenrechte“ klar umrissen – die „Verständigung zwischen den Kulturen“. Für Galtung sind die wirtschaftliche und technologische Globalisierung Chancen, aus denen er seine Hauptforderung ableitet: die ebenso konsequente Globalisierung der Menschenrechte. Er plädiert dabei engagiert für den Blick über den abendländischen Tellerrand, was bei der Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Menschenrechtskonzepten von Christentum und Islam oder bei der „ein paar Gedanken“ zu Kollektivrechten und „asiatischen Werten“ aber durchweg im Ansatz stecken bleibt.

Seine Argumentation ist dabei so schön schlicht wie überkommen antiwestlich, dass es schon wieder amüsant ist: „Der Westen globalisert den Planeten mit Englisch als Weltsprache und einem materialistischen Individualismus als Weltreligion. Durch das Britische Empire wurde Englisch ursprünglich als die Sprache von Geoffrey Chaucer, William Shakespeare und John Bunyan weltweit verbreitet und geriet in der amerikanischen Variante schließlich zur Sprache der ,3 M‘: Mickey Mouse, Michael Jackson und Madonna.“

An der Spitze von Galtungs Forderungen nach einer „dritten Generation der Menschenrechte“ steht die globale Demokratisierung durch Direktwahl einer UN-Volksversammlug, die die UN-Vollversammlung als Schöpfer von Rechtsnormen ablösen soll. Dabei setzt er vor allem auf eine Weiterentwicklung bestehender internationaler Nichtregierungsorganisationen (NGOs), um zusammen mit Städten und transnationalen Gesellschaften auf lange Sicht „die Regierungen in der Weltpolitik zu ersetzen“.

Die Frage nach den Realisierungschancen einer solchen Vision klammert Galtung allerdings gekonnt aus, und völlig ins Absurde gerät ihm die Analyse des Verhältnisses Deutschland-Europa: Hier sieht Galtung nach 1990 und dem EU-Beitritt Österreichs eine faktische „Wiedervereinigung des Kernreiches der Habsburger innerhalb der europäischen Union“. Entsprechend ist die „EU-Mitgliedschaft für Polen, die Tschechische Republik und Ungarn wiederum [...] der logische Weg, sich den grenzfreien Zugang zum Sudetenland, zu Pommern/Schlesien und mindestens dem halben Ostpreußen zu erschließen“.

Nach diesem unersprießlichem Konvolut schließen sich fünf Bilanzen in Sachen Menschenrechte an, unter anderem aus Mosambik (Chris Pearce) und Brasilien (Christian Salazar Volkmann). Dass beide Bestandsaufnehmer in Projekten der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit GTZ arbeiten, einer NGO, die dennoch klar den Anweisungen eines expansionistischen Nationalstaats unterliegt, gehört wohl wiederum zu den diversen Ungereimtheiten des Bands. STEFFEN GRIMBERG

Johan Galtung: „Die Zukunft der Menschenrechte“. Campus, Frankfurt am Main 2000, 248 S., 36 Mark