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84 Zeilen Medientheorie

Vom Theoriebaukasten bis zum Wunderblock, vom Kunstwerkaufsatz bis zum heimlichen Klassiker: Das „Kursbuch Medienkultur“ bietet eine Einführung in die Theorie der Medien – und schon ist man drin

„Ich bin drin!“, sagt Boris Becker, und falls er die Materie in ihren theoriegeschichtlichen Aspekten meint, dann hat er bestimmt den von fünf Wissenschaftlern der jungen Bauhaus-Universität Weimar herausgegebenen Reader „Kursbuch Medienkultur“ gelesen.

Denn das Netz hat eine nicht nur technische Geschichte – und überhaupt ist seine Geschichte durchaus voraussetzungsreich. Sie zeichnet aus, dass Medien wie etwa das Internet nicht nur Verfahren zur Speicherung, Verarbeitung und Übertragung von Information sind. Medien stellen vielmehr das, was sie speichern, verarbeiten und übermitteln, unter Bedingungen, die sie selbst schaffen. Das Medium ist die Botschaft, hat Marshall McLuhan bekanntermaßen einstmals diesen Sachverhalt benannt. An ihn schließen sich jede Menge Fragen an. Darunter Fragen, die die Richtung medienwissenschaftlicher Arbeit bis auf weiteres bestimmen werden.

Marshall McLuhans Medientheorie über heiße und kalte Medien ist selbstverständlich unter den „Maßgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard“ zu finden, die der Reader laut Untertitel versammelt. In neun Kapitel unterteilt, die etwa von „Begründungen“ handeln, von „Wegen, Kanälen, Übertragungen“ oder „Formationen des Wissens“, finden sich wohl alle denkbaren Klassiker der Medientheorie versammelt, von Benjamins Kunstwerkaufsatz bis Enzensbergers Theoriebaukasten, von Freuds Wunderblock bis Foucaults Überlegungen zum Archiv und selbst ein geheimer Klassiker wie Fritz Heiders 1921 veröffentlichter Aufsatz „Ding und Medium“ fehlt nicht.

Es war Niklas Luhmann, der Heiders Konzeption von Ding und Medium wieder aufnahm und sie in die systemtheoretische Leitdifferenz von Form und Medium umformulierte.

Das „Kursbuch“ macht also den Rückgriff auf die kanonischen Texte der Medientheorie zu einer unproblematischen Angelegenheit. Schon allein das würde seine Anschaffung rechtfertigen.

Doch weil die Herausgeber dazu jedes Kapitel mit einer ebenso kurzen wie nützlichen Einführung versehen haben, in der die Texte nicht nur vorgestellt, sondern die hier aufgeworfenen Fragen noch einmal kommentiert und systematisiert werden, bietet der Reader sogar zusätzlich auch noch mehr Orientierung, als sein Titel verspricht.BRIGITTE WERNEBURG

Claus Pias, Joseph Vogl u.a. (Hrsg.): „Kursbuch Medienkultur. Die maßgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard“. Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart 1999, 400 Seiten, 49,80 DM

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