Gesellschaftskritisch häkeln und stricken

■ Im Delmenhorster Fabrikmuseum Nordwolle widmet sich die ziemlich bunt zusammengewürfelte Sonderausstellung „Im Zeichen des Schafes“ der Rolle von Heidschnucke & Co. in der modernen Kunst

Wenn's ganz doll schlimm wird in unserer modernen, schrecklich kalten Welt, dann packt Patricia Waller die Stricknadeln aus. Eine links, eine rechts, eine fallenlassen – und schon verwandeln sich die geklonten Dolly-Schafe, sinnenfälligster Ausdruck gentechnologischen Größenwahns unserer Tage, in zwei putzige Tierchen auf idyllisch grasgrünem Häkelgrund.

Sowas nennt der Katalog zur Ausstellung „Im Zeichen des Schafes“ im Delmenhorster Industriemuseum Nordwolle, wo sich die Handarbeiten der Karlsruher Künstlerin Patricia Waller finden, „ironisch häkeln“. Die Brave New High-Tech-World wird hier auf Schmuseniveau runtergehäkelt und somit in eine spannungsvolle Beziehung zur Realität gesetzt. Oder so.

Derart „ironisch häkeln“ kann man – neben Joysticks, Roboterarmen und Cyberhandschuhen – auch Spermien, Augen, Finger, Embryos, Hirnlappen und Herzmuskel: Kurzum all das, was sich zum Beispiel in formaldehydgefüllte Glasbehälter einlegen lässt und dort darauf wartet, einem bedürftigen Erdenkind implantiert zu werden. Wallers in formaldehydgefüllte Glasbehälter eingelegte gestrickte Organe sehen zunächst nett unapettitlich aus, sollen dem Betrachtenden aber doch immer zugleich ironisch in Erinnerung rufen, dass die ganze Geschichte mit dem Organhandel und der Prothesenmedizin aber gar nicht so lustig ist.

Was sie aber stattdessen ist, will einem beim Anblick von Patricia Wallers handarbeitlich tadellos gefertigten Wollobjekten trotz heftiger Betätigung der in humaner Hirnsuppe eingelegten grauen Zellen partout nicht einfallen. Vielleicht: Stricken ist heimelig (und weiblich und tendenziell gut?), Organe transplantieren hingegen ist – ebenso wie Computerspiele, Roboterproduktion und virtuelle Welten – technoid (und männlich und potentiell böse?)? Gesellschaftskritisch stricken ist halt ein hartes Brot in Zeiten, wo der plakative Bezug zu einem komplexen Thema nicht mehr genügt, um eine politisch korrekte Reaktion hervorzurufen.

Auch den anderen KünstlerInnen im Fabrikmuseum Nordwolle, die das Schaf zum politischen Symbol küren, gelingen keine facettenreichere Arbeiten. Der Frankfurter Objektkünstler Thomas Bayrle vermengt in seinem Video „Dolly Animation“ religiöse Motive der Rede vom Lamm Gottes, dass die Sünden der Welt hinweg nimmt, mit den bekannt problematischen Aspekten der spektakulären Klonierung eben dieses Tieres in jüngster Zeit.

Auch der Franzose Pierre Fauret kommt am Dolly-Motiv nicht vorbei. In seinen Installationen wimmelt es von äußerlich identischen Schafen aus Gips oder Plastik. Mal bewohnen sie gleich zu hundert einen virtuellen anonymen Wohnblock, mal zwängen sie sich als schwarze Herde durch eine enge Gasse, die sie symbolträchtig als goldene Schafe wieder verlassen.

Bleiben noch die kleinen Lichtblicke dieser bunt zusammengewürfelten Sonderausstellung zu erwähnen. Ein nachgestelltes Stück Lüneburger Heide samt rietgedeckten Fachwerk und ausgestopftem Vogelvieh vereint allerliebst auf wenigen Quadratmetern von der Heidschnucke über das „Grün ist die Heide“-Video bis hin zu Wippermanns Wacholderschnaps schlicht alles, was für ein volle Pulle romantisches Schäferleben von Nöten ist. Als Kontrastprogramm dazu zeigen zwei ausgezeichnete Fotoreportagen aus Tirol und England, dass die kargen Lebensbedingungen der Schäfer wohl nie dazu angetan waren, diesen Berufsstand um sein Dasein am idyllischen Busen der Natur zu beneiden. zott

Die Sonderausstellung „Im Zeichen des Schafes“ ist noch bis zum 14. Mai im Delmenhorster Industriemuseum Nordwolle zu sehen. Infos über das umfangreiche Begleitprogramm speziell für Kinder erhält man unter 04221/99 24 25 bzw. 99 24 79. Ein Katalog ist ebenfalls erschienen. Er kostet 34 Mark.