Die Entdeckung der Langeweile

Vielleicht die Dub-Version des Alternative Rock? Yo La Tengo erforschen locker die Grenze zum Stillstand

In ihrem aktuellen Video spielen Yo La Tengo eine Band, die so langweilig ist, dass sie von ihrer Plattenfirma auf die Rock-Akademie geschickt wird, um endlich all die verkaufsfördernden Posen zu lernen. Das ist lustig – aber eigentlich spielen Yo La Tengo nur sich selbst. Sie leben seit der Steinzeit in Hoboken, New Jersey. Gitarrist Ira Kaplan und Trommlerin Georgia Hubley sind all die Jahre glücklich verheiratet und teilen sich den Gesang freundschaftlich, Bassist James McNew ist ein wenig zu dick, bindet seine Haare zu einem Zopf und sieht durch und durch gemütlich aus, und seit Jahren machen sie exakt denselben Gitarrenrock für exakt dasselbe Publikum. Seien wir doch mal ehrlich: Yo La Tengo sind eine langweilige Band.

Diesen Eindruck kann Kaplan auch im Gespräch nicht verwischen. Aus ihm eine eindeutige Aussage zu pressen, grenzt an Körperverletzung. Selbst der Versuch, über die im Yo-La-Tengo-Kosmos durchaus revolutionären Änderungen auf der neuen Platte „And Then Nothing Turned Itself Inside-Out“ zu sprechen, endet in einer immer freundlichen, aber auch leicht desinteressierten Litanei aus „Ich weiß nicht so recht ... Ääh ... Einerseits ... Andererseits ... Vielleicht ...“

Keine bewusste Entscheidung sei es gewesen und schon gar kein Konzept, sagt Kaplan, dass Yo La Tengo nach fünfzehn Jahren auf ihrer mittlerweile zehnten Platte die Rockmusik zu den Akten gelegt haben. Vielleicht ist es Zufall, vielleicht Romantik, vielleicht auch nur Vergesslichkeit, dass die überzeugten Velvet-Underground-Fans mit „Cherry Chapstick“ nur noch eine einzige verlorene Rückkopplungsorgie auf dem Album belassen haben.

„Möglicherweise“, sagt Kaplan, ist diese wundervoll entspannt dahinfließende Musik „auch ein Produkt des Alters“. Sicher immerhin ist, dass man mit dieser Musik alt werden kann. Ein Gedankenspiel, das Kaplan zwar kaum in seiner unerschütterlichen, leicht ironischen Ruhe stört, aber hin und wieder durchaus beschäftigt: „Es gibt nicht allzu viele Vorbilder für das Älterwerden im Rock. Mick Jagger ist doch eine eher absurde Erscheinung. Aber so jemand wie Neil Young gibt einem das Gefühl, dass es möglich ist, dass man nicht als Karikatur enden muss.“

Bis es so weit ist, erforschen Yo La Tengo erst einmal die Grenze zum Stillstand so intensiv, wie es zuletzt nicht einmal mehr die Cowboy Junkies gewagt haben. Vielleicht ist dieses ziellose Schweben ja die Dub-Version des Alternative Rock, für den Yo La Tengo bisher standen. Mancher Song scheint aus keinem bestimmten Grund zu beginnen und dann auch gar nicht weitergehen zu wollen, bevor er endet, weil er halt endet. „Night Falls on Hoboken“ wurde so mehr als 17 Minuten lang und wie der Rest der Platte berückend jenseitig. So wie man mit Kaplan prima plaudern kann, ohne wirklich was zu sagen, kann man mit dieser Musik problemlos einen langen, langen Winter vorm Kamin verbringen. Oder auch einen Sommer. Was weiß der Mensch schon.

THOMAS WINKLER

Tour: Köln, 14. 5. Berlin, 18. 5. Hamburg, 19. 5. Bielefeld, 20. 5. Karlsruhe, 22. 5. München