Traum vom Bahnhof Zoo

Mütterliche Zuhälterin vor Gericht: Freier bedienen für ein bisschen Kokain  ■ Von Elke Spanner

Ihren jetzigen Freund hat sie „als Gast“ kennengelernt. Gäste sind die Männer, die sie täglich gegen Geld sexuell bedienen musste. Gegen Geld, das die 13-Jährige selber nicht bekommen hat. Das kassierte Ramona A. ein, dann und wann gab sie ihr dafür ein Kügelchen Kokain ab. Ramona, sagt Vanessa, „war wie eine Mama zu mir, wenn sie klar war“. Doch meistens war sie auf Kokain, und dann setzte es Schläge. Nun muss sich Ramona A. wegen schwerem sexuellen Miss-brauch von Kindern und schwerem Menschenhandel vor dem Landgericht verantworten.

Vanessas Mutter starb „an fixen“, als das Mädchen fünf Jahre alt war. Ihre Clique, die sie später im Heim hatte, „träumte davon, nach Berlin zum Bahnhof Zoo zu gehen und Zookinder zu werden“. Statt zur Schule zu gehen, hat Vanessa schon mit elf auf der Straße gelebt und ihren Tag damit verbracht, sich Drogen zu organisieren. Doch Reden kann sie wie gedruckt. Ihre Wortgewandheit lässt sie so erwachsen wirken, dass es zunächst irritiert, als der Richter die 15-Jährige mit „Du“ anspricht. Nur aus dem, was sie schildert, hört man das Mädchen heraus. Vormund: Das Jugendamt. Bezugsperson: Niemand, bis Ramona kam. Die hat sie am Altonaer Bahnhof kennen lernt, als die damals 13-jährige Vanessa sich Geld für Drogen zusammenbettelte.

Ein Jahr lang hat sie bei ihr gelebt. Erst gab es das Kokain umsonst, „das war der Himmel auf Erden“. Dann musste sie das Geld dafür anschaffen gehen, zehn Freier am Tag, „sie hat mich dazu gezwungen“. Ramona setzte das Geld in Drogen um. „Manchmal war sie nach einem Druck gut drauf und tanzte durch die Wohnung“, erzählt Vanessa. Meistens jedoch „hatte sie Spaß daran, mir weh zu tun“: Auf Vanessas Körper sind Narben von ausgedrückten Zigaretten. Als sie vorigen Dezember schließlich zur Polizei ging, sagte sie mit blau geschlagenem Auge aus.

Und dennoch ist die Dreizehnjährige immer wieder zu Ramona zurückgekehrt. Drei Mal wurde sie aufgegriffen und zum Kinder- und Jugendnotdienst gebracht, jedes Mal zog sie danach wieder bei ihrer Peinigerin ein. „Ich habe ihr die Entschuldigung jedes Mal abgenommen“, sagt Vanessa. „Wenn man auf der Straße gelebt hat, freut man sich über sowas.“ Außerdem wäre die Alternative gewesen, zum Drogenentzug in die psychiatrische Abteilung ins Krankenhaus Ochsenzoll zu gehen, und da „hätte jeden Tag ein Psychiater in meiner Seele rumgebohrt, das tut genauso weh wie Schläge ins Gesicht“. Doch irgendwann überwog dann doch die Angst vor der Frau, „die ich eigentlich mag“.

Ramona selbst sieht sich als Wohltäterin des Mädchens, „das ich mit nach Hause genommen habe, weil sie mir leid tat“. Auf dem Gerichtsflur funkelt sie alle patzig an, als seien die ZuschauerInnen daran schuld, dass sie ihre Zeit nun im Gericht verschwenden müsse. Vanessa habe sie für 17-jährig gehalten, freiwillig sei sie auf den Strich gegangen, und „umsonst sage ich der Presse sowieso nichts, andere bekommen auch Geld dafür“. Ihre Anwältin muss sie in einer Verhandlungspause überreden, zum Prozess zu bleiben, eigentlich hat Ramona A. etwas anderes vor.

Auf dem Flur weicht Vanessa der Frau aus, bei der sie lebte und die für sie so lange „eine Mama“ war. Vanessa trägt blondierte, halblange Haare, ein weißes Sweatshirt und Sportschuhe mit extradicken Sohlen, wie es bei Teenagern in ihrem Alter gerade Mode ist. Bezugsperson: Ihr Freund, ein ehemaliger Freier, 45 Jahre alt.