Kleinvieh macht auch Mist

Die Berliner Regionalbörse boomt im internationalen Geschäft. Mit dem weltweit größten Aktien-Angebot und speziellem Service für Kleinanleger konnte sie ihren Umsatz vervierfachen. Doch auch die Konkurrenz schläft nicht
von ANNETTE ROLLMANN

Auf dem Parkett herrscht Stille. Niemand reckt verschwitzt-weiße Oberhemdenarme. Niemand ordert rudernd oder rufend. Keiner hantiert mit drei Telefonen gleichzeitig, die Apparate klingeln nicht einmal. Trotzdem wird hier an einem Tag mehr als eine Milliarde Mark umgesetzt. In aller Stille und online. Die rund ein Dutzend Berliner Börsianer blicken in ihre elektronischen Orderbücher, makeln Mobilcom und Schering, beobachten die Entwicklung des Nasdaq, des amerikanischen Technologieindex, und kommentieren kurz eine Neuemission, die floppt.

Die Berliner Börse hat sich innerhalb von drei Jahren von Platz sechs in Deutschland auf Platz drei „vorgetradet“. Mit 8.200 Aktientiteln aus 60 Ländern liegt sie weltweit vor allen anderen. Der Umsatz hat sich in drei Jahren auf 333 Milliarden Mark im Jahr vervierfacht. Und so pflegt Geschäftsführer Jörg Walter trotz der gestern angekündigten Fusion der großen Börsen von London und Frankfurt zum größten Finanzplatz Europas sein kühles Understatement und gibt sich gelassen: „Wir werden an unserer Strategie festhalten, vorrangig für Privatanleger mit einem breiten Angebot da zu sein.“

Eine Imagekampagne soll den Aktien-Hype an der Berliner Börse weiter beleben – weg von der piefigen Regionalbörse. „Den Anlegern muss klar werden, dass wir ein Finanzplatz sind, an dem überdurchschnittlich viele internationale Aktientitel gehandelt werden“, so Walter. Helfen sollen da Slogans wie „Kapital braucht Abwechslung“ oder „Wertpapiere stehen auf Berlin“.

Der Handelsplatz Berlin hat wie andere Börsen auch vom jungen Volkssport Aktienspekulation profitiert. Doch versucht die Regionalbörse, die sich auf vorwiegend osteuropäische und amerikanische Aktien und den Neuen Markt spezialisiert hat, sich mit Serviceangeboten für Kleinanleger interessant zu machen. Ab Juni werden die Handelszeiten an der Börse auf 20 Uhr verlängert. Bei Erfolg soll die last order im kommenden Jahr sogar noch um 22 Uhr möglich sein. „Der normale Arbeitnehmer kann sich mit dem Markt erst nach seinem Bürotag beschäftigen. Dann haben die Börsen aber bisher zu“, sagt Walter. Außerdem korrespondieren die neuen Zeiten mit den opening hours an der Wall Street in New York.

Ab sofort bietet die Börse unter der Telefonnummer 01 80-1-88 77 77 ein Info-Telefon während der Börsenzeiten an, wo Anleger Fragen stellen können. „Außerdem können Anleger so überprüfen, ob ihre Bank ihre Order auch wirklich prompt an die Börse weitergegeben hat“, sagt Pressesprecherin Eva Klose. Grundsätzlich kämen Privatanleger bei der Berliner Börse leichter zum Zuge, da im Allgemeinen viel kleinere Stückzahlen gehandelt würden als in Franfurt/Main. Dort gingen die Kleinanleger oft leer aus.

Doch die Branche toppt sich gerne selbst. Und so sind auch diese schönen Image-Argumente im selben Moment schon wieder Geschichte. Denn gestern eröffnete der Finanzdienstleister systracom AG das erste europäische Aktien-Trading-Center in Berlin. Nun können Kleinanleger direkt an den großen US-Börsen mit Aktien handeln. Vorstandssprecher Klaus-Peter Möritz: „Der Kunde verabschiedet sich von der Bank und vom Parketthandel. Er geht direkt zum Computerhandel über.“