in fußballland
: Christoph Biermann über Fußball-Dissidenz

DER SCHREI DER KRÄHEN

An einem Sonntagmorgen nahm mich Bogdan zu einem Spiel der zweiten rumänischen Liga mit. Die Mannschaft von Autobuzul Bukarest spielte, Werksklub einer Fabrik für Omnibusse. Gut dreitausend Zuschauer saßen auf den Stahlrohrtribünen des Stadions in der milden Herbstsonne und aßen Sonnenblumenkerne. Geschickt sprengten sie mit ihren Zähnen die Kerne auf und spuckten die Schale aus.

Ich hatte Bogdan zu Hause abgeholt. Er wohnte direkt gegenüber des nicht fertiggestellten Palastes der Republik in einem Haus, das den großflächigen Abrissen für das neue Bukarest nicht zum Opfer gefallen war. Es würden keine Bagger mehr kommen, Ceaușescu war seit einigen Monaten tot, und Soldaten bewachten die stillgelegte Baustelle. Am Tag zuvor hatten wir einen Aufpasser mit Zigaretten bestochen, um in den Palast zu gelangen. Die weiten Treppenhäuser waren aus Marmor, mächtige Kristallleuchter hingen von der Decke, feinste Holzvertäfelungen zierten die Wände in den riesigen Sälen, nur die Fenster fehlten noch. Alle Wirtschaftskraft des Landes steckte in diesem Gebäude, das die Größe Rumäniens beweisen sollte. Elf unterschiedlich hohe Stockwerke hatte der Palast, von oben hätte Ceaușescu auf den Platz der Republik hinabschauen können, die behauptete Mitte Rumäniens, und die Prachtalleen, die an die Champs Elysées in Paris erinnern sollten.

Bogdan hatte wenig dazu gesagt, als hätte dieser ihm so nahe Wahnsinn nur eine ferne Bedeutung. Er war Anfang 20 und irritierte mich sowieso. Der blasse Junge mit der Körpersprache eines Schattens trug lange schwarze Haare und T-Shirts von Heavy-Metal-Bands, die Carcass oder Napalm Death heißen. Er studierte in Bukarest, der Stadt, wo seine körperliche Existenz stattfand. Sein eigentliches Leben fand in England statt, angeschlossen über sein Radio und den World Service der BBC.

Bogdan hatte einen Anstecker von Charlton Athletics an seiner Lederjacke und wusste mehr über den Londoner Fußballverein, als man im Herbst 1990 in Bukarest eigentlich darüber wissen konnte. Er zählte Namen von Torschützen auf und erinnerte an Spiele eines Klubs, den er nie gesehen hatte. Bogdan wusste zudem selbst kleinste Orte in England den richtigen Grafschaften zuzuordnen. Er liebte das Land seiner Träume auch wegen der Queen, denn Bogdan war Monarchist. Er glaubte, dass die Rückkehr des Königs Rumänien retten würde.

Seine Mannschaft in Rumänien war Politehnica Temesvar, aus der Stadt im Norden Rumäniens, wo der Sturz Ceaușescus seinen Anfang nahm. In allen Ländern Osteuropas gab es Klubs, die nicht von mächtigen staatlichen Organisationen unterstützt wurden, der Armee oder dem Innenministerium. Einige dieser Vereine errangen eine Art Dissidenten-Status, weil in deren Stadion gegen die Großen protestiert wurde. In Temesvar riefen die Zuschauer „Räuber, Räuber“, wenn Dinamo und Steaua kamen. Weil die Gegner Spieler und Siege stahlen.

Nun saß ich mit dem seltsamen Hardrock-Monarchisten auf der Tribüne eines rumänischen Zweitligisten, umgeben von Menschen, die Sonnenblumenkerne aßen und seltsame Geräusche machten. In der gegnerischen Mannschaft spielte ein großer, kräftiger, schwarzhaariger und dunkelhäutiger Stürmer. Immer wenn er am Ball war, begannen die Zuschauer eine Art lautes Krächzen. Was sollte das? „Zigeuner werden bei uns Krähen genannt, und sie machen das Geschrei der Krähen nach“, sagte Bogdan.

Er mochte Zigeuner auch nicht sonderlich, und als Bogdan zwei Jahre später endlich nach England kam, störten ihn auch die Schwarzen auf der Straße. Er konnte nicht verstehen, dass sich seine Freunde als Linke bezeichnen. Links war doch Ceaușescu. Es irritierte ihn, dass sie Heavy Metal nicht als Musik der Rebellion gelten lassen wollten. Beim Fußball war es einfacher. Als Bogdan zum ersten Mal Charlton Athletics spielen sah, überreichte ihm der Mannschaftskapitän ein Trikot. Die Zuschauer applaudierten, und ein Foto von Bogdan erschien in der Lokalzeitung.

Autorenhinweis:Christoph Biermann, 39, liebt Fußball und schreibt darüber