Mit brennenden Fackeln

Erstmals seit fast zwei Monaten tritt der dopingverdächtige Langstreckenläufer Dieter Baumann wieder in der Öffentlichkeit auf: Wird er doch noch bei Olympia in Sydney starten können?

aus AachenBERND MÜLLENDER

Als er endlich kommt, bleibt er gleich weg. Beziehungsweise setzt sich hinten in den Klinikums-Hörsaal. Hört nur zu, wie ein Medizinstudent. War nichts mit der vom Veranstalter (Aachener Zeitung) groß angekündigten gemeinsamen Podiumsdiskussion von Dieter Baumann und dem Kölner Dopingfahnder Prof. Wilhelm Schänzer.

Die Anwälte hatten das kurz vorher empfohlen. Auftreten ja, aber bloß nicht zusammen mit Schänzer. Jeder Anschein von Befangenheit, gar Kumpanei ist zu vermeiden. Erst recht jetzt, wo es auf die Zielgerade geht für den 35-jährigen 5.000-m-Olympiasieger von Barcelona, auch wenn der Rechtsausschuss des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) gestern erneut einen Antrag auf einstweilige Aufhebung der Suspendierung ablehnte. Die Fragen bleiben bestehen bezüglich seines angeblichen Dopings mit Nandrolon-haltigen Stimulanzien und der späteren Funde manipulierter Zahnpastatuben bei ihm zu Hause: Glaubt man ihm? Oder hat er doch? Und wenn nicht: Wer war wie wann warum an seinem Toilettenschrank? Ein Neider? Ein Kollege? Eine Ost-West-Rachegeschichte?

Ist der Sportler Baumann tot?

Als Baumann im zweiten Teil der Diskussion am Dienstagabend auf dem Podium Platz nimmt, ist er durstig. Nimmt die Wasserflasche vor sich in die Hand, prüft, ob sie original verschlossen ist, guckt skeptisch in das gereichte Glas: groteske wie übliche Sicherheitschecks im Sport 2000. Als ein paar im Hörsaal zu murmeln beginnen, checkt Baumann das Glas demonstrativ noch mal. Heiterkeit im Publikum. Erste Frage: „Ist der Sportler Dieter Baumann tot?“ Lange Pause. „Hmmmh.“ Verzögertes wie lang geschwäbeltes: „Neiiinn.“ Prasselnder Applaus. „Ich bin überzeugt, dass ich in Sydney laufen werde.“

Baumann sagt, die Polizei favorisiere mittlerweile die These, seine Zahnpastatube sei irgendwann ausgetauscht worden, nicht bei ihm daheim oder in einem Trainingslager manipuliert. Wilhelm Schänzer hat am Dienstag sein Zahnpasta-Gutachten der Tübinger Staatsanwaltschaft zugestellt. In Aachen sagte der Dopingforscher, es sei wohl doch „nicht auszuschließen“, dass Nandrolon-Wirkstoffe auch bei Ausdauersportarten leistungssteigernd wirken könnten.

Was neu war. Und was Baumann für absurd hält. Weil man mittlerweile wisse, dass Nandrolon oft und unbewusst über Nahrungsergänzungsmittel in die Athletenkörper gelange. Dass es dumm wäre, sich mit Nandrolon zu stärken, weil es über Wochen und Monate nachweisbar ist. Dass die plötzlich weltweit über 350 Nandrolon-Fälle der vergangenen Monate ja bewiesen, dass da etwas nicht stimme mit Analytik und Dopingfähigkeit. „Die 350 kann man doch nicht alle wegsuspendieren.“

Und immer die Polizei dabei

In dubio pro reo also. Früher redete Baumann anders. „Ich glaube, man überschätzt vieles, was ich immer gesagt habe“, sagt er und meint sein Credo aus Vor-Nandrolon-Zeiten: „Wer positiv getestet wird, muss gesperrt werden.“ Er habe gelernt, sagt das vermeintliche Opfer Baumann, dass das nicht stimmt. „Es war ein Fehler, immer zu sagen, alle Verantwortung trage allein der Athlet.“ Jetzt fordert er Dopingtests „allein von Dritten und nicht mehr vom Verband. Und immer die Polizei dabei. Ich bin sicher, ich würde längst wieder laufen.“

Mitdiskutantin Anke Feller, Welt- und Europameisterin mit der 4x400-Meter-Staffel, hatte vorher einen aufschlussreichen Satz gesagt. Über die Dopingvergangenheit ihrer heutigen Staffelkollegin Grit Breuer meinte sie: „Ja, das ist und bleibt im Hinterkopf. Ich muss zugeben, das Misstrauen ist noch da.“

Auch bei Baumann ist Misstrauen trotz all seiner guten Argumente nicht auszuräumen, solange er sich neuerdings dezidiert mit Sprintdoperin Katrin Krabbe, Laufbahngefährtin von Grit Breuer und personifiziertes Synonym für Manipulation, vergleicht. Krabbe, sagte Baumann in Aachen mehrfach, sei auch formal freigesprochen und nur wegen Medikamentenmissbrauchs gesperrt worden. Albern wirkt es, wenn Baumann andeutet, dass er in den USA im April, während seines vierwöchigen Höhentrainings in Flagstaff, probehalber einen Lügendetektortest gemacht habe. Ergebnis? „Sag ich nicht“, kokettiert er – vermutlich hat er mit Glanz und Gloria bestanden.

Die 200 ZuhörerInnen verabschieden Dieter Baumann mit langem Applaus. Alle scheinen von ihm felsenfest überzeugt. Nächsten Dienstag ist Meldeschluss für die 10.000-Meter-Meisterschaften am 27. Mai in Troisdorf bei Bonn, das erste und sicherste Nominierungs-Event für Olympia. Die Zeit wird knapp. Die Tübinger Polizei findet keinen Täter, verschiebt den Abschlussbericht immer wieder neu. Vermutlich werden die Meldungen über Dieter Baumann bald von einstweiligen Verfügungen und vorläufigen Startberechtigungen handeln.

Und sportlich? „Vom Gefühl her ist meine Leistungsfähigkeit beschissen. Konzentration ist schwer. Ich fühle mich wie in einem Vakuum, wie ein Krimineller und Outlaw, den man abschießen will. Es ist wie auf einem Scheiterhaufen: Viele laufen mit brennenden Fackeln rund herum und warten nur drauf, bis es endlich brennt.“