Der Mensch ist eine Wunschmaschine

Einmal im Leben in den Körper eines Stars schlüpfen: In seinem Film „Being John Malkovich“ vermischt Regisseur Spike Jonze Schöpfungsmythen, absurde Geschlechterwechsel und die alte Sehnsucht nach dem Anderen zu einer fantastischen Komödie

von GERTRUD KOCH

Zu den trostlosen und unumstößlichen so genannten Tatsachen des Lebens gehört seine Endlichkeit, die nicht nur aus der Hinfälligkeit des Leiblichen und Organischen unserer Körper resultiert, sondern eben auch aus der Unumkehrbarkeit der Zeit. Aus dieser Unpässlichkeit des Seins heraus sind immer wieder Versuche unternommen worden, es zu Lebzeiten zu unterlaufen. Während ein im Kern konservativer Film wie „Magnolia“ im Angesicht des Todes des Patriarchen das Wunder der Liebe und der Natur herbeisehnt, um dem Leben Sinn und Erfüllung abzutrotzen und andere „Eine pornografische Beziehung“ aufsuchen, obwohl man weiß, dass in diesem Genre die Lösung nicht im Singular liegen kann, verblüfft Spike Jonzes Film mit einer ganz anderen und unerwarteten Möglichkeit, sich Identitäten und Lebenserwartungen frei konstruieren zu können.

Am Ende, um einmal beim Film selbst anzufangen, schwimmt ein kleines Mädchen mit mesmerisierendem Blick durch das vom Lichtreflex der Sonne in bewegliche Flächen zerlegte Wasser eines Pools. Ein Mädchen, dessen genetische Herkunft verwirrender ist als jede Chromosomenbestimmung, so als wären die Paare aus Goethes „Wahlverwandtschaften“ vom „imaginären Phallus“ Judith Butlers geschwängert worden. Die eine der beiden Frauen (Catherine Keener), die das kleine Mädchen aufziehen, ist zweifelsfrei seine biologische Mutter, die andere aber (Cameron Diaz) ist eine der vielen Bewohnerinnen von „John Malkovichs“ Hirn. Die fantastische Geschichte, die Spike Jonze und sein Drehbuchautor Charlie Kaufman erzählen, hat außer dem groben Thema der Identitätsaneignung mit den Horrorszenarien älteren Typus, wo Außerirdische sich in vorhandene menschliche Körper transformieren, die in Erbsenschoten nachgezüchtet werden, kaum etwas gemeinsam. Das Fantastische selbst muss nicht weiter als Einbruch von etwas Äußerlichem rationalisiert werden. Die Fantasien werden wieder an ihren Absender zurückgeschickt: ans Publikum.

Das ältere Thema der Verschmelzung von Star und Publikum, Leinwand und Betrachter, das seit den Tagen des Stummfilms zum Beispiel Buster Keaton in die Leinwand hineingehen ließ und Woody Allens zweidimensionale Kinohelden in „Purple Rose of Cairo“ in den Zuschauerraum hinaustreten ließ, wird hier umgedreht: Der Star ist nicht die Obsession der Zuschauer, sondern wird im wörtlichen Sinne zu deren ausführendem Organ und Körper. Der Körper selbst wird über die Steuerung im Hirn in Besitz genommen. Und so konnte es kommen, dass eine Frau im und mit dem Körper „John Malko- vich’ “ mit einer anderen Frau ein Kind zeugt.

Jonzes Film ist weder Horror- noch Sciencefiction-Film, sondern eine der brillantesten absurden Komödien der letzten Jahre, die sich auch als Wiedererzählung älterer Mythen vom Partner- und Geschlechtertausch (von Amphytrion bis Così Fan Tutte) und von der Erschaffung und Schöpfung willfähriger Geister (von Pygmalion bis zu Buñuels Archibaldo de la Cruz) verstehen lässt.

Die so kompliziert anmutende Geschichte ist dabei denkbar einfach: Durch einen versteckten Tunnel im wunderlichen Zwischenstockwerk eines Hochhauses kann man in den Schädel John Malkovich’ einfahren und entweder die Welt mit dessen Augen sehen oder ihm auch den eigenen Willen aufdrücken. Zumindest sind dies die beiden Modi des „Being John Malkovich“, die der Film ausfaltet. Die Entdeckung macht der unglückliche, erfolglose Puppenspieler, den John Cusack als wirren Künstler gnadenlos erfolglos in allen Bereichen gibt, bis er seine Macht über Malkovich ausfeilt und am Ende ganz von dessen Existenz Besitz ergreift, um seine beiden gescheiterten Lebensprojekte zum Erfolg zu führen: das Puppentheater und die Verführung der zynischen Schönen (Catherine Keener), die ihn immer wieder höhnisch hat abblitzen lassen und sich am Ende seiner Frau zugetan zeigt. Auf dem Weg zum temporären Erfolg steht die kommerzielle Nutzung des Tunnels als Freizeitprogramm für müde Büromenschen, die sich die glamouröse Hülle des Stars für eine Viertelstunde ausleihen.

Ein Teil des komischen Potenzials liegt natürlich in der Palette an widersinnigen Abenteuern, wie Malkovich’ minutiöse und langatmige Bestellung eines Sets von Badehandtüchern. Zum Besten, was seit langem auf der Leinwand an Sexszenen zu sehen war, gehören sicher die zwischen John Malkovich und Catherine Keener, die in der Celebrity die intime Anwesenheit einer verliebten Frau erwartet und Malkovich damit zum Teilnehmer einer unsichtbaren Orgie werden lässt. Eine Attraktion, die er fühlen, aber nicht sehen kann. Das Potenzial des Films erschöpft sich aber nicht nur in der brillant erzählten Komödie, die sich eines betont saloppen realistischen Stils bedient, um die absurden Konstruktionen als unvermeidliche Gegebenheiten erscheinen zu lassen.

Jonzes Film verblüfft genau an der Schnittstelle zwischen dem, was man landläufig für die visuelle Ästhetik des Films hält und einer Ästhetik des Imaginären und Phantasmatischen, wie Jonze sie aus Musikvideo und Werbefilm, seinen beiden Herkunftsdomänen, kennt. Schon der optische Einfall eines Zwischenstockwerks, der 7 œ. Stock, der tatsächlich nur halbhoch ist und alle zwingt, gebückt oder seitlich abgewinkelt zu gehen, wirkt wie aus einem Clip. Dass er hier aber nicht als Animationstrick eingesetzt, sondern als vorfilmischer Raum aufgebaut wird, führt zu einer neuen Ästhetik des Absurden, die den filmischen Raum selbst in seinem Renaissance/Schöpfer-Gehabe ad absurdum führt.

Die Codes des klassischen Erzählkinos, die die Kameraposition als Erzählperspektive verorten, werden hier nicht weniger subversiv umgedeutet. Die subjektive Einstellung, in der die Kamera die Position des handelnden Akteurs einnimmt, wird von Jonze vor allem für die Einstellungen benutzt, in denen Malkovich „besessen“ ist. Die Zuschauer sehen also aus Malkovich’ Blickperspektive, aber mit den Augen eines Fremden. So wird bei Jonze hinter dem Blick der Kamera der Blick des Zuschauers evoziert, der die Welt mit den Augen des Stars sehen möchte und diesen zu seiner Wunschmaschine macht.

Aus der Soziologie der Medienrezeption und der Fans weiß man, dass es nicht nur Einzelfälle sind, wenn in den Begleitfantasien ehelicher Akte die jeweiligen Partner als Star gedacht werden. Aus einem der Filme der letzten Jahre kennt man diese Fantasie als Entwurf eines Bordells, in dem alle Frauen bekannte Stars verkörpern. Insofern gibt Jonze auch hier kein neues Thema vor, aber es gibt kaum einen Beitrag, der auf so witzige und treffende Weise mit dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren der Wunschmaschine Mensch und der Wunschmaschine Kino zu spielen verstanden hat. Die Obsession des Blicks und des Auges, die zu den beiden großen Metaphern der Filmästhetik geworden sind, bricht Jonze in der Perspektivierung der Geschlechter auf, indem er aus Malkovich’ virilem Körper den erregten Blick einer Frau auf eine Frau werfen lässt.

Wenn am Ende der Film wieder zum Thema des ewigen Lebens zurückkehrt, dann hat er nicht nur den Amazonenritt der beiden Frauen zur Zeugung zurückgelegt, sondern im Motiv des Doppelgängers auch das des Doppel- oder Mehrfachlebens durchgespielt. Die endlose Sehnsucht nach anderen Körpern und Verkörperungen ist wie alle Wiederholung ein weiterer Versuch des Sisyphos, den Lauf des Lebens umzudrehen.

Dieses Ende ist wie in allen gelungenen Komödien nicht frei von Schwermut. Nicht nur weil der arme Malkovich von einer ganzen sektenartigen Kongregation auf dem Weg zum ewigen Leben maßstabsmäßig be- und zersiedelt zurückgelassen wird, sondern wegen der schwebenden Schönheit der jungen Nixe im Wasser, dem Elixier des Lebens im Stadium seiner unerträglichen Leichtigkeit.

Dass die gesamte Idee der Verkörperung eine Schauspieleridee ist, muss kaum betont werden. Die vier Hauptdarsteller haben sich ihrer Rollen so brillant und frenetisch bedient, dass man fast erstaunt zur Kenntnis nimmt, dass trotz der heftigen Einflüsse von Videoästhetik der Körper als Ausdrucksmedium ungebrochen auf der Leinwand zur Geltung kommt. Und dass es gerade die Mischung aus Körperlichkeit und Phantasmagorie ist, die einen großen Teil des Reizes dieses Films ausmacht.

„Being John Malkovich“. Regie: Spike Jonze. Mit: John Malkovich, Catherine Keener, John Cusack, Cameron Diaz, Charlie Sheen, u. a., USA 1999, 113 Min.