Neue Eurobörse entsteht

Die beiden größten europäischen Finanzplätze, Frankfurt und London, machen künftig gemeinsame Sache. Das Ziel ist eine weltumspannende Börse von Südostasien bis Nordamerika

aus FRANKFURT KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Vor 15 Jahren hätten sie sich an der London Stock Exchange (LSE) über ein Fusionsangebot aus Frankfurt am Main noch halb totgelacht, schrieb der Economist im Vorfeld der gestern vollzogenen Allianz zwischen der LSE und der Deutschen Börse AG. Die Londoner Börse war da (nach der Börse in New York) die Nummer zwei in der Welt – und Frankfurt ein eher unbedeutender Börsenstandort auf dem Kontinent.

In diesen 15 Jahren aber ist viel Wasser Themse und Main hinabgeflossen. Die Börse in Frankfurt am Main avancierte zur größten Börse auf dem Kontinent. Wachstumsrate: 35 Prozent pro Jahr. Und ohnehin seien „die Tage der nationalen Börsen gezählt“, urteilt heute Gavin Casey, der Chef der Londoner Börse.

Am britischen Finanzplatz lachte deshalb niemand mehr, als der designierte Verwaltungsratschef der neuen Börse „iX“, Don Cruickshank, den Zusammenschluss zum größten Finanzplatz Europas gestern eine „Fusion unter Gleichen“ nannte. Tatsächlich werden beide Partner je 50 Prozent der Anteile an iX halten. London wird der Standort und der Chef der Deutschen Börse AG, Werner Seifert, der erste Vorstandsvorsitzende von iX. In London sollen demnächst alle Standardwerte (Blue Chips) gehandelt werden; in Frankfurt die Wachstumstitel aus dem Hochtechnologiebereich. Hier plant das neue Unternehmen gleich noch eine Kooperation mit der US-Technologiebörse Nasdaq, um einen gesamteuropäischen Handel der spekulativeren Aktien anzubieten. Eine Absichtserklärung haben die Amerikaner bereits unterzeichnet. Darin aufgehen sollen der Nasdaq Europa, der britische Techmark und der deutsche Neue Markt. Nasdaq und iX wollen jeweils 50 Prozent an der neuen Gesellschaft halten.

Als technische Plattform fungiert das deutsche Computer-Handelssystem Xetra. Experten an beiden Finanzplätzen schätzen die Marktkapitalisierung nach der Fusion auf mehr als 8 Milliarden Mark.

Die Deutsche-Börse-Tochter Clearstream blieb bei der Fusion allerdings außen vor. Dieses Unternehmen wickelt nach der elektronischen Handelsvereinbarung das Aktiengeschäft dann auch faktisch ab. Clearstream verwahrt so Wertpapiere in Wert von mehr als 7 Billionen Euro. Die Einbeziehung dieser „Clearing-Aktivitäten“ hätte das Gleichgewicht empfindlich gestört. Eine Fusion unter Gleichen wäre nicht mehr möglich gewesen.

Deutsche Bank Chef Rolf E. Breuer, nebenbei Aufsichtsrat bei der Deutschen Börse, begrüßte die Fusion euphorisch. Alle würden davon profitieren: die Anleger, die großen Firmen – und die Volkswirtschaften in Europa. Ob sich Breuer aber genug um die Pflege seines Lieblingskindes iX wird kümmern können? Schließlich habe der Mann doch genug damit zu tun, seinen eigenen Laden nach der gescheiterten Fusion mit der Dresdner Bank zusammenzuhalten, spöttelte – britisch humorig – der Economist. Breuer sei der „Visionär“ der Börsenfusion gewesen, behauptete Cruickshank. Und diese Fusion sei ihm ja auch gelungen.

Seifert betonte ebenfalls, dass die Fusion den Investoren nutze und generell die Kosten für alle Beteiligten senke: „Alle Marktteilnehmer profitieren von niedrigeren Spannen, die aus der höheren Liquidität resultieren.“ Vor allem den kleineren Marktteilnehmern in ganz Europa werde über Xetra ein standortunabhängiger Zugriff auf den dann größten Aktienmarkt in Europa eröffnet. IX wird 53 Prozent des europäischen Börsenhandels abdecken. Privatanlegern biete die Fusion auch eine größere Produktpalette. „IX schafft gleiche Chancen für alle Marktteilnehmer“, behauptete Seifert. Aber alle Beteiligten wissen: Um Global Player zu werden, muss „iX“ auch in den Vereinigten Staaten und in Asien Beteiligungen suchen oder mit den Börsen dort kooperieren. In Europa ist der Anfang nun gemacht. Auch Madrid und Mailand erklärten gestern, sich der neuen Börse komplett anschließen zu wollen.