Große Offensive gegen Manila

Auch die größte muslimische Rebellengruppe auf den Philippinen nimmt jetzt den Kampf auf

BANGKOK taz ■ Nach den Geiseldramen von Basilan und Jolo wurden die Philippinen gestern von weiteren Hiobsbotschaften erschüttert: Die größte der muslimischen Guerillagruppen in der Region, die „Moro Islam Liberation Front“ (MILF), kündigte eine „totale Offensive“ gegen die Regierung in Manila an – und ließ ihrer Drohung auch prompt Taten folgen.

Mindestens vier Menschen kamen bei Sprengstoffanschlägen in vier Städten auf der Insel Mindanao um, Dutzende wurden verletzt. Bereits am Dienstag hatten die Rebellen Strommasten gekappt und zwei Busse vorübergehend entführt – die rund 80 Passagiere blieben zehn Stunden lang in ihrer Gewalt. Zudem sind bei Gefechten der Guerilla mit der Regierungsarmee nach offiziellen Angaben seit dem vergangenen Wochenende auf beiden Seiten fast 70 Männer gestorben.

Doch anders als die „Abu Sayyaf-Gruppe“, die mit der Entführung von Touristen und Schulkindern internationale Aufmerksamkeit errang, ist die MILF keine obskure Splittergruppe. Im Gegenteil: Sie verfügt nach bisherigen Erkenntnissen über bis zu 15.000 bewaffnete Kämpfer und kontrolliert ganze Landstriche, in denen sie ihre Armeelager hat.

Ihre Soldaten rekrutiert sie aus der großen Schar arbeitsloser Jugendlicher, die nur die Wahl haben, sich der Guerilla oder einer der vielen Gangsterbanden anzuschließen, die von Raub, Schutzgelderpressung und Entführungen leben.

Die Wut auf den – reicheren – katholischen Rest der Philippinen und die Regierungsarmee hat in dieser traditionell muslimischen Region tiefe Wurzeln. Nach Jahrzehnten der Gewalt, Rache und Rechtlosigkeit lockt die Vision eines islamischen – moralisch reineren – Staates, den die religiösen und militärischen Führer der Guerilla versprechen.

Der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, Orlando Quevedo hat inzwischen zu einem sofortigen Waffenstillstand aufgerufen. Er beschuldigte beide Seiten, für die Gewalt verantwortlich zu sein: „Weil sie sich nicht an die Abkommen halten, werden Hunderte Menschen getötet“, klagte er. „Tausende muslimische und christliche Familien müssen aus Angst um ihr Leben fliehen“, fügte er hinzu. In den vergangenen Jahren seien 120.000 Bewohner der Region aus ihren Häusern und Dörfern vertrieben worden, meldete die Zeitung Philippine Daily Inquirer gestern.

Auslöser für die neuen Kämpfe: Regierungstruppen hatten am Wochenende MILF-Guerilla-Einheiten angegriffen – obwohl beide Seiten einen Waffenstillstand vereinbart hatten. Manila begründete die Aktion damit, dass die Guerilla mit zwölf Straßensperren eine wichtige Überlandstraße einfach blockiert habe. Die MILF hatte sich geweigert die Straße freizugeben, da ihr wichtigster Stützpunkt ganz in der Nähe lag.

Präsident Joseph Estrada verteidigte die harte Haltung seiner Armee: Sie sei nötig, um der verarmten Region zu helfen: „Wenn wir nichts tun, um die Terroristen aufzuhalten, dann wird kein Investor jemals dorthin gehen.“

JUTTA LIETSCH