Keine Spur, keine Verhandlungen

Die entführten Urlauber sind im philippinischen Dschungel verschwunden. Nun sollen die fehlenden Nachrichten als gutes Zeichen dienen

von JUTTA LIETSCH

Als die philippinischen Regierungssoldaten gestern die Bambushütte auf der südlichen Insel Jolo stürmten, fanden sie den kleinen Raum leer. Von den gesuchten 21 Gefangenen und ihren Bewachern keine Spur. Das schien – bei aller Enttäuschung – auch ein gutes Zeichen zu sein: Offenbar war die ganze Gruppe noch am Leben gewesen, als sie vor der heranrückenden Armee geflüchtet war.

Das Geiseldrama um die zehn ausländischen Touristen, die zusammen mit elf Einheimischen am Ostersonntag von der malaysischen Insel Sipadan entführt worden waren, erreichte gestern einen schrecklichen Höhepunkt: Am frühen Morgen hatte sich ein angeblicher Sprecher der Kidnapper bei einem lokalen Radiosender gemeldet und erklärt: „Zwei ausländische Geiseln sind tot.“ Sie seien in der Nacht ums Leben gekommen, als die Armee angegriffen habe, berichtete er. Eines der Opfer sei eine Frau, die bei dem Schusswechsel einen Herzinfarkt erlitten habe. Ein männlicher Gefangener sei von einem Querschläger getroffen worden. Die Entführer, die zur muslimischen „Abu Sayyaf“-Gruppe gehören, so betonte der Anrufer, trügen keine Schuld am Tod ihrer Geiseln.

Kaum war die erschütternde Nachricht verbreitet worden, folgte allerdings schon das Dementi von anderer Seite: Alle Geiseln seien noch am Leben, erklärte ein Beamter aus der Region im Süden der Philippinen, in der sich die Insel Jolo befindet.

Wenig später erklärte der Verhandlungsführer der Regierung, Gouverneur Nur Misuari: Es sei zwar richtig, das alle Entführten noch lebten, allerdings seien zwei von ihnen bei den Auseinandersetzungen verletzt worden. „Eine Person nur ein kleines bisschen, die andere etwas mehr.“ Diese Informationen habe er aus einer „sehr guten Quelle“. Weitere Details wollte er nicht nennen.

Sie sind tot. Sie leben

Aus den widersprüchlichen Informationen, die im Laufe des Tages zu erhalten waren, wurde nur so viel klar: Offenbar haben die philippinischen Behörden dem Wunsch von Abu Sayyaf und ihren Gefangenen nicht entsprochen, die Armee aus dem Umkreis des Lagers abzuziehen. Stattdessen umzingelten Militäreinheiten das Gebiet. Als eine Gruppe von Abu Sayyaf versuchte, den Kordon zu durchbrechen, kam es zum Schusswechsel.

Verteidigungsminister Mercado Orlando verteidigte das Vorgehen der Sicherheitskräfte, die verhindern wollten, dass die Geiseln wieder an einem unbekannten Ort verschwinden. Rätselhaft blieb allerdings, wo sich die Gruppe derzeit befindet: In einem anderen Haus innerhalb des von der Armee gebildeten Ringes? Oder hatten die Abu-Sayyaf-Leute die Gefangenen gezwungen, sich in der Nacht auf einen weiteren Weg durch das von Buschwerk und Bäumen bewachsene Gelände zu machen?

Für die geschwächte Gruppe, die am Tag zuvor von einer philippinischen Ärztin besucht worden war, muss dies eine Tortur gewesen sein.

Forderungen bitte schriftlich

Auch andere Fragen bleiben offen: Chefunterhändler Nur Misuari konnte die Entführer bis gestern noch nicht ein einziges Mal zu ernsthaften Gesprächen überreden. Offenbar hatte er zuvor verlangt, dass die Entführer ihre Forderungen schriftlich verfassten. Als der Gouverneur einen persönlichen Abgesandten zu den Abu-Sayyaf-Leuten schickte, versperrten diese ihm den Weg, berichtete der amerikanische Nachrichtensender CNN. Er musste unverrichteter Dinge wieder umkehren.

Über den Grund kann bislang nur spekuliert werden: Sind sich die Entführer untereinander noch gar nicht einig, welchen Preis sie für die Freilassung der Geiseln fordern wollen? Oder wollen sie die Regierung dazu zwingen, einen anderen Unterhändler zu benennen?

Gouverneur Nur Misuari ist im Süden der Philippinen eine umstrittene Figur: Der frühere Politikprofessor hatte lange Jahre gegen Manila gekämpft, bis er 1996 die Waffen niederlegte und einen Friedensvertrag mit der Regierung schloss. Damals atmeten viele Bewohner auf: „Endlich Frieden!“ Andere jedoch sahen ihren Traum von einem unabhängigen islamischen Staat verraten. Deshalb verließen zahlreiche Guerillakämpfer Misuaris Organisation und schlossen sich stattdessen einer der beiden Gruppen an, die den Krieg bis heute weiterführen.

Abu-Sayyaf-Sprecher hatten schon Anfang der Woche den Gouverneur als Verhandlungspartner abgelehnt und stattdessen „die UNO“ oder Vertreter der „Organisation Islamischer Staaten“ verlangt. Das lehnt der philippinische Präsident jedoch ab. Für die Geiseln ist jeder Tag der Verzögerung unerträglich. Die deutsche Regierung hat Manila inzwischen gebeten, einen internationalen Vermittler einzuschalten.

Während es aber für die Gruppe auf Jolo noch Hoffnung gibt, entwickelte sich der zweite Entführungsfall, der die Region derzeit erschüttert, für mehrere der Geiseln tragisch: Von den 27 Geiseln auf der Insel Basilan, die seit fast sieben Wochen von Abu Sayyaf festgehalten wurden, kamen gestern vier Kinder ums Leben, als die Armee die Gruppe zu befreien versuchte. Fünfzehn andere Geiseln kamen frei. Das Schicksal von fünf Geiseln ist noch unbekannt.