Riesengräser in der Presse

■ Bambus soll auf der Expo 2000 als ökologisch korrekter Baustoff propagiert werden / Bauaufsicht ist kritisch / Bremer Professor prüft die „Standsicherheit“ eines Pavillons

Die Bambuspflanze ist ein potentes Gewächs: Zehn Zentimeter schieben sich ihre Stengel täglich gen Himmel. 500 Quadratmeter Land sollen ausreichen, um nach nur einem Jahr Baumaterial für ein zweistöckiges Haus ernten zu können. Das Riesengras aus den Subtropen, das bis zu 25 Meter hoch wird, ist viel leichter als Stahl oder Holz und trotzdem enorm belastbar. Doch guadua augustifolia, wie eine südamerikanische Art heißt, hat es schwer im Norden: Es gibt keine DIN- Norm für den Umgang mit dem exotischen Baustoff.

Das wäre vermutlich nicht weiter dramatisch, hätte sich nicht die Stiftung ZERI („Zero Emission Research Initiative“) vorgenommen, auf der EXPO die Qualitäten der hohl tönenden Stengel zu demonstrieren. Die Unterorganisation der UN, die sich mit der nachhaltigen Verwendung von Ressourcen beschäftigt, ist der Bauherr eines Bambus-Pavillons auf dem Gelände der Weltausstellung: ein monumentaler Schirm aus kolumbianischem Bambus, Holz, Stahl und Beton. Mit zehn Ecken und 40 Metern Durchmesser. Gewindestangen in mörtelgefüllten Hohlräumen halten die Stangen zusammen.

Der kolumbianische Architekt Simon Velez hat das an seiner Spitze knapp 15 Meter hohe, nach allen Seiten offene Gebäude entworfen. In seiner Heimat ist Bambus ein preiswerter Baustoff – zehn Meter kosten umgerechnet zwei Mark –, den vor allem ärmere Leute für ihre Häuser verwenden. Doch der allzeit um „Standsicherheit“ bangenden niedersächsischen Bauaufsicht ist die ganze Sache nicht geheuer: Sie gibt den Pavillon mit seinem fragilen Tragwerk nur dann frei, wenn der „experimentelle Nachweis der Trag- und Gebrauchsfähigkeit“ erbracht wird. Schließlich könnte es schneien.

Genau hier kommt Klaus Steffens ins Spiel. „Einen Moment bitte“, sagt er und eilt zu seinem Schreibtisch im Institut für Experimentelle Statik an der Hochschule Bremen. Jetzt bloß keine Ungenauigkeiten. Steffens greift sich einen Taschenrechner, kurze Denkpause, dann steht fest: 20 Tonnen.

Mit solchen Lasten wird der Professor in der kommenden Woche das EXPO-Bauwerk traktieren, von der Seite (Wind), oder von oben (Eigengewicht, Besucher, Schnee). Er wird mit seinen Mitarbeitern mächtige hydraulische Belastungsrahmen ansetzen, um alle möglichen Kräfte zu simulieren. Elektronische Sensoren werden die Reaktionen des Bauwerk ermitteln. Ziel des Unternehmens: Es soll nicht wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Dann gibt es ein Zertifikat, und die Kuh ist vom Eis, wie Steffens sagen würde.

Eine richtige Uraufführung ist das Experiment für den Statiker nicht mehr: Im vergangenen Jahr war Steffens, der auch schon das Reichstagsgebäude in Berlin und den Bremer Dom unter seine Fittiche genommen hat, in Kolumbien. Dort hatten die 40 Arbeiter, die jetzt auch in Hannover im Einsatz waren, einen Prototyp des Pavillons gebaut. Steffens improvisierte mit wassergefüllten Fässern als Lasten.

„Außerordentlich leistungsfähig, schnell wachsend und ökologisch völlig unbedenklich“, so die Diagnose des Wissenschaftlers, der früher bei Bambus vor allem an Angelruten und Rohrstöcke gedacht hat. Jetzt gehe es darum, den Baustoff für Ingenieure salonfähig zu machen. Im Gegensatz zu den Glas-Stahl-Architekturen der Weltausstellung – siehe deutscher Pavillon – entspreche das Bambusgebäude genau dem EXPO-Motto Mensch - Natur - Technik.

In der nördlichen Hemisphäre kann sich Statiker Steffens Bambus-Gebäude wegen ihrer spezifischen Konstruktion nur schwer vorstellen. Ohne Imprägnierung seien sie überdies nässeempfindlich. Er hält aber ein Umdenken in den ärmeren Ländern rund um den Äquator für erforderlich: Diese sollten sich klar machen, dass Beton und Stahl nicht die Zukunft auf dem Bau seien. hase