Hellersdorf zwischen Horror und Heimat

Der beliebteste Treffpunkt im Plattenbaubezirk ist ein Einkaufszentrum, andere Freizeitangebote gibt es kaum, oder sie sind kostspielig. In der Hellen Mitte werden regelmäßig Linke und Nichtdeutsche von Rechten verprügelt. Trotzdem mögen viele den Bezirk, wollen nicht weg

Malte, 21: Wenn du in die Stadtmitte gehst und sagst, kommt mal ins Weite Theater nach Hellersdorf, dann fallen sämtliche Gesichter. Die denken, dass da überall Nazis und Glatzen sind. Ich kenne Leute aus Kreuzberg oder, noch schlimmer, Schöneberg, die nicht mal wissen, wo Hellersdorf ist. Und für die sieht es dann im Klischee wirklich so aus, dass hier die Häuser halb verfallen und sich die Leute nur an die Kehle springen. Letztendlich ist es nicht so. Es ist ein Leben wie in jedem anderen Stadtbezirk. Ich bin 1991 nach Hellersdorf auf das Gymnasium gekommen und habe nicht ein einziges Mal Schläge bekommen.

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Nadine, 17: Ich find’ es ehrlich gesagt ziemlich blöd, in Hellersdorf zu wohnen. Weil abends, wenn du mal Lust hast, ’nen Kaffee zu trinken, dann hast du hier gar nicht die Möglichkeiten. Die meisten Gaststätten sind voll mit irgendwelchen Suffies und Prolls. Ich wohne hier nur, weil meine Eltern hier wohnen.

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Julia, 15: Wir dachten, wenn die Helle Mitte hier steht, würden die ganzen Penner kommen und die ganzen Türken. Die Erwachsenen haben darüber gesprochen, das wird hier das zweite Kreuzberg, und wir werden hier total verkommen. Jetzt rennen in Helle Mitte immer viele Nazis lang, und sonnabends ist da meistens eine Schlägerei, und dann rennen sie besoffen durch die Straßen und brüllen ihre Scheißparolen. Das gefällt mir überhaupt nicht. Neulich wurde hier hinten bei Plus an der Louis-Lewin-Straße ein Vietnamese abgestochen von vier Rechtsradikalen.

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Eileen, 15: Ich mag Hellersdorf nicht. Ich find die Umgebung nicht toll, und ich habe auch nicht vor, hier alt zu werden. Berlin ist für mich etwas anderes. Das fängt bei Kleinigkeiten an. Wenn man mich anguckt, in unserer Schule falle ich alleine deshalb aus dem Klischee, weil ich nicht so rumrenne wie die Masse, mit Bomberjacke, mir irgendwelchen Plateauschuhen, mit Jeans.

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Claudia, 15: Am Ku’damm, da fühl ich mich wohl, da ist Multikulti. Da wird man nicht schräg angeguckt, da wird man so aufgenommen, wie man ist. Und hier in Hellersdorf ist es so, wenn du nicht so bist wie die Masse, bist du Außenstehender, gehörst nicht dazu. Man wird schräg angemacht von Leuten, die nicht deine Meinung teilen. Ich habe mich schon mit Leuten unterhalten, die haben sich schon mit Jugendlichen aus ganz Berlin unterhalten. Die haben alle gesagt, Hellersdorf und Marzahn ist das absolute Rechtenkaff. So nennen sie das. Rechtenkaff. Das ist so.

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Ulrike, 14: Manche sagen, Hellersdorf ist Scheiße, aber mir gefällt es sehr gut hier. Hier habe ich alles, was ich brauche. Wenn ich shoppen gehen möchte mit Freunden, da hab’ ich hier gleich in der Nähe die Helle Mitte. Wir hängen im Kino rum, unten sind ja Cafés, da setzen wird uns hin und plaudern. Manchmal kommen die Wachleute, dann heißt es, entweder ihr kauft was oder ihr geht. Es gibt auch noch Stellen, wo man nix kaufen muss, zum Beispiel bei C & A gibt’s Bänke, wo man sich hinsetzen kann.

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Mike, 19: Früher war Hellersdorf ’ne reine Baustelle. Es standen kaum Häuser. Wenn man jetzt guckt, hat sich Hellersdorf fast zu einer eigenen Kleinstadt entwickelt. Müsste jetzt eigentlich Hellerstadt heißen.

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Manuel, 17: Ich wohne seit 1994 hier. Vorher hab’ ich in Brandenburg gewohnt, auf ’nem total verlassenen Dorf. Hier gibt es mal coole Zeiten, mal schlechte Zeiten. Mit 15 bin ich in der Skinheadszene gelandet. Da fing es mit gefährlicher Körperverletzung an, dreimal in sechs Monaten. Da sind wir mit der Glatzenhorde los und haben irgendwelche Leute umgehauen. Zum Anfang waren es Zecken, Punks, einfach alles, was nicht in die Gesellschaft gepasst hat. Den haben wir auf den Kopf gehauen. Aber nicht ohne Grund, wir haben den Stress gesucht, haben den angerempelt, und dann ging es los. Dann bin ich ausgestiegen und ein ganz normaler Mensch geworden.

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Gabi, 15: Hier gibt es nicht mal ein Schwimmbad. Wenn man Geld hätte, würde man ins Kino gehen, das wär schön. Aber sonst gefällt mir auch nur, dass viel Grün ist und nicht nur Haus an Haus geklatscht. Zum Beispiel das Naturschutzgebiet, dass man mal ein bisschen rumlaufen kann.

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Christopher, 18: Klubs gibt’s nicht viele in Hellersdorf. Das Weite Theater kennt man, da gibt’s ab und zu musikalische Veranstaltungen mit Schulbands oder Underground-Bands. Da gibt’s dann noch das Kino oder eine Bowling-Bahn oder Pool-Point, wo man Billard spielen kann. Kostet alles sein Geld. Alkohol möchte man auch trinken, das ist auch teuer, kann man nicht bezahlen. Hellersdorf gibt Millionen Mark aus, um irgendwelche Kunstsachen auszustellen. Da steht so ein hässliches, undefinierbares Teil Kunst, und das hat eine Million oder zwei Millionen gekostet. Das rostet total. Steht einfach nur rum und soll Kunst sein.

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René, 19: Früher war das an der Tagesordung in Hellersdorf, den Vietnamesen die Zigaretten zu klauen. Man hat die Zigaretten geklaut, ist dann später zu demselben Vietnamesen hingegangen und hat ihm seine eigenen Zigaretten wieder verkauft. Und wenn er nicht wollte, dann wurde ihm zugesprochen, und denn wollte er meistens schon.

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Olga, 22: Ich komme aus Kasachstan. Dort haben wir genauso gelebt wie in Hellersdorf. Es gab höhere und kleinere fünfstöckige Häuser. Ich gehe auf eine normale Gesamtschule in Hellersdorf, und ich denke, dass den Schülern egal ist, welche Sprache du sprichst. Hauptsache, man versteht sich, man verträgt sich. Ich kann nicht so gut deutsch reden, aber ich kann gute Leistungen in Mathe bringen. Als ich in meine Klasse gekommen bin, ist ein Junge zu mir gekommen und hat gefragt, ob ich ihm bei Russisch-Aufgaben helfe. Dann sind wir Kumpel geworden.

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Dino, 15: Seit April 1993 bin ich sechs Jahre in Deutschland. Früher habe ich in Bosnien gelebt. Wir sind vor zweieinhalb Jahren nach Hellersdorf gezogen, und es gefällt mir immer mehr. Ich hätte hier gerne ’ne Wohnung für uns alleine, nicht in so ’nem Ausländerheim. Mit richtig Rechten hatten wir noch nie Probleme, außer einer Schlägerei 1997 bei unserem Heim. Da haben ganz viele Zigeuner ein paar Rechte mit Besen, mit sonst was immer auf sie eingeschlagen, und dann kam die Polizei und der Krankenwagen. Das war ’ne Riesenschlägerei.

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André, 16: Mit den Drogen ist das in Hellersdorf neuerdings so eine Sache. Zum Beispiel am U-Bahnhof Kaulsdorf-Nord. Das sind so gelbe Telefonzellen neben der Post, da muss man sich einfach mal abends ab acht hinstellen. Man sieht, wenn man zwei, drei Stunden da steht, zehn Dealer. Das ist der größte Umschlagplatz für draußen. Dort sind neuerdings auch Polizeiwagen. Jetzt sind die Dealer sehr vorsichtig. Man geht jetzt in irgendeinen Hauseingang mit Müllschlucker und stellt sich in die Kammer, wo der Müllschlucker ist. Und wenn jemand kommt – einfach in den Müllschlucker runter und weg. Alle kiffen mittlerweile. Mit den Drogen wird es immer schlimmer, die Konsumenten werden immer jünger. Gras und Piece, also diese Naturdrogen, könnten legalisiert werden, weil Alkohol viel schlimmer ist. Das sind Naturheilkräfte.