Streik löst kein Chaos aus

Rund 20.000 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes haben gestern gestreikt. Obwohl die BVG erst nach 8.30 Uhr fuhr, blieben die Berliner ruhig. Gewerkschaften fordern 5 Prozent mehr Lohn

von GRIT FRÖHLICH und RICHARD ROTHER

Wie jeden Morgen überqueren sie den Alexanderplatz und streben auf die U-Bahn-Eingänge zu. Verdutzt bleiben sie oben an den Stufen stehen: Die Unterführung versperrt ein Gitter. Während ganz Berlin sich gestern Morgen auf den Streik im öffentlichen Dienst einstellte, hat er ein paar Vereinzelte doch überrascht. Haben sie kein Radio gehört? „Doch, aber ich hör meistens Sport“, sagt ein Mann. In einer halben Stunde soll die U-Bahn wieder fahren. Die Stimmung ist gelassen. „Ich arbeite auch im öffentlichen Dienst, kann das verstehen“, sagt eine Frau. Andere ärgern sich: „Ständig die Fahrpreise erhöhen und dann so was“.

Rund 20.000 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes haben sich nach Gewerkschaftsangaben an denm Warnstreik beteiligt. Neben der BVG wurden auch Stadtreinigung, Gasag, Feuerwehr, Wasserbetriebe sowie Krankenhäuser und Behörden bestreikt. Die Gewerkschaften drängen auf einen Lohnerhöhung um 5 Prozent.

„Achtung, an alle Mitarbeiter der BVG: Damit der Zugverkehr rechtzeitig anfangen kann, werden die Tore um 8.15 Uhr geöffnet“, tönt es aus einem Lautsprecher. Die Handvoll Wartender verläuft sich in den unterirdischen Gängen. Unten auf dem Bahnsteig hat der Bäckerstand schon geöffnet. „Wir haben heute früh halb sieben aufgemacht und erst mal die BVGler mit Kaffee versorgt“, sagt die Verkäuferin. Es ist 8.30 Uhr, und die Züge müssten wieder fahren. Langsam füllen sich die Bahnsteige. Endlich fährt eine leere U-Bahn ein. „In diesen Zug bitte nicht einsteigen!“ Ein Moment des Aufbegehrens: „Und ihr wollt mehr Geld haben“, schimpft einer. Dann wieder Gelassenheit.

Auch in Kreuzberg ist von Chaos nichts zu spüren. Vor der Kita in der Cuvrystraße haben es sich drei Erzieherinnen auf Campingstühlen bequem gemacht. „Die Eltern wussten Bescheid“, sagt eine, Kaffee schlürfend. Eine Anwohnerin gesellt sich dazu: „Auch mal nett. Kein Kindergeschrei auf dem Hof – da konnte ich etwas länger schlafen.“

Easy going auch am Schlesischen Tor. Die Straßen sind nicht voller als sonst, mehr Fahrräder sind auch nicht auszumachen, und kaum jemand verirrt sich zum Bahnhof. Das befürchtete Verkehrschaos ist nach Angaben der Polizei in der ganzen Stadt ausgeblieben. Die meisten haben sich darauf eingestellt, dass vor 8.30 Uhr keine U-Bahn fährt. Pünktlich ab viertel nach acht strömen die Kreuzberger auf den Bahnsteig, der Minuten später voll ist. Von Unruhe aber keine Spur: Die Fahrgäste sonnen sich, lesen Zeitung oder rauchen eine Zigarette.

Erst nach halb neun werden einige unruhig. „Jetzt könnte mal langsam ne Bahn kommen“, meint ein etwa 40-jährige. „Na, das dauert ein bisschen, bis alles wieder in Gang kommt“, antwortet ein junger Mann. Kurz darauf die Ansage: „Der nächste Zug Richtung Krumme Lanke kommt um 8.39 Uhr.“ Die U-Bahn verspätet sich um eine Minute, ist nicht überfüllt. Als sie abfährt, erinnert nichts mehr daran, dass hier ein Streik gewesen sein soll.