Aktion Mensch an die Front

Die Bundeswehr wird in diesem Jahr 45. Eine kleine Reihe über unsere Armee. Teil 1: Die militärische Zukunft gehört den bislang verschmähten Minderheiten

Alle Jahre wieder beweisen Körperbehinderte bei den Paralympics, zu welch besonderen körperlichen Leistungen sie imstande sind: Unterschenkelamputierte Leistungsportler überfliegen beim Weitsprung mit Leichtigkeit die Sechs-Meter-Marke oder hinken die 100 Meter in 11,33 Sekunden. Obwohl zweibeinige Nichtspitzensportler von solcher Tüchtigkeit nur träumen können, sind sie es, aus denen die Bundeswehr ihr Personal rekrutiert.

Dass die Einteilung in Wehrtüchtige und Untaugliche überholt ist und dass die Bundeswehr mit ihrer sorgenkindverachtenden Ausmusterungspolitik sich selbst am meisten schadet, ist ihr in 45 Jahren nicht in den Sinn gekommen. Nicht nur dank technischer Neuerungen können so genannte Behinderte so genannte normale Menschen überflügeln. In der einen oder anderen Disziplin sind sie ihnen schon von Natur aus überlegen. Dass Blinde besser hören, wird kein vernünftiger Normalsichtiger bestreiten wollen. Dennoch schickt der Amtsarzt beim Kreiswehrersatzamt die Blinden mit null Punkten nach Hause. Dabei braucht es doch, um den Feind abzuhören, empfindliche Ohren und nicht Augen. Bei Abhörarbeiten sind Blinde konzentrierter und aufmerksamer – unter dem Tisch versteckte Sexheftchen lenken sie nicht ab. Würde die militärische Forschung gezielt nach Einsatzmöglichkeiten für Menschen mit besonderen Fähigkeiten suchen, sie könnte jeden Rüstungswettbewerb für sich entscheiden, zum Beispiel mit Rollstuhlfahrern im neuen Leopard-Coupé, mit furchtlosen, beinamputierten Minensuchern oder mit Marinezwergen.

Schon heute bietet ein U-Boot durchschnittlich großen Menschen nicht genügend Platz. Die U-Boot-Größe ist limitiert; die Zwangsvorstellung, schnell und unbemerkt die Weltmeere durchstreifen zu müssen, verbietet behagliche Luxusgrößen. Die Marine könnte darauf verzichten, Menschen wie Legebatteriehühner zusammenzupferchen, verschlösse sie nicht harthöhig die Augen vor der einfachsten Lösung: dem Einsatz kleiner Menschen. Diese müssten nicht in den U-Boot-Katakomben herumbuckeln, sich auf kleinen Pritschen krumm legen oder gegen Platzangst kämpfen. Im Gegenteil: Die U-Boote dürften sogar noch etwas kleiner ausfallen.

Auch propagandistisch wäre der Einsatz von Kleinwuchskriegern ein echter Bringer: Schösse der schurkische Feind ein mit Zwergen besetztes U-Boot ab, hätte er nicht Kombattanten getötet, sondern unschuldige und sympathische Behindis erbarmungslos massakriert! Die ethisch hoch stehende Weltöffentlichkeit wäre entsetzt und alarmiert. Im Namen der Menschenrechte könnte spitzenmäßig zurückgeschlagen werden – während die Armee, die ein paar hundert Zwerge verheizte, als moralischer Sieger die Schlachtbank verließe.

Noch gibt es sie, die Kleinwüchsigen. Doch nicht mehr lange, dann hat sie der medizinische Fortschritt ausgerottet. Es besteht Handlungsbedarf, wenn man sich einen Zwergenbestand für die Zukunft sichern will. Dafür muss die Bundeswehr nicht nur ihre ablehnende Haltung gegenüber Zwergen in Uniform aufgeben, sondern ihnen auch berufliche Perspektiven ermöglichen. Schließlich werden Eltern durch die Angst um die Zukunft ihres Nachwuchses in einer zwergenfeindlichen Gesellschaft zum pränatalen Verzicht durch Abtreibung getrieben oder zu einer, wenn möglich, postnatalen medizinischen Längenkorrektur. Wüssten sie, dass ihrem Kind eine Karriere bei der Marine so gut wie sicher ist, nähmen sie die Diagnose „kleinwüchsiges Kind“ stolz zur Kenntnis. Mit einem optimistischen „Er wird mal ein tüchtiger Flottillenadmiral“ ließen sie die jabbelnde Verwandschaft verstummen und vor Neid erblassen. So bliebe dem Kind ein jahrelanges Patientendasein mit Hormonbehandlungen oder langwierigen, schmerzhaften Knochenverlängerungen erspart, und die Manipulation des Erbguts aus Gründen der normativen Anpassung wäre auch vom Tisch.

Indem die Bundeswehr sich auf behinderte Menschen in ihren Reihen einstellte, gewönne sie auf militärischem Gebiet engagierte, tapfere und zur technischen Innovation fähige Soldaten hinzu und könnte sich als weltoffene, gesellschaftlich bewegende, für die Gleichheit aller Menschen kämpfende Institution profilieren – mehr noch als zuletzt bei den Überschwemmungen im Oderbruch oder im Kosovo. CLAUDIA ALDENHOVEN