Unsinnige Zwangsdienste

betr.: „Sozialdienst statt Wehrpflicht“ von Daniel Haufler, taz vom 29. 4.00

„Schaffte man die Wehrpflicht ab, verschwänden auch die Zivis – und ohne die könnten viele Krankenhäuser dichtmachen.“ „Wer also eine sinnvolle Reform der Bundeswehr will, der muss ein soziales Jahr zur Pflicht machen.“ Diese Behauptungen sind in diverser Hinsicht lachhaft. Es gibt erstens zahlreiche Länder mit und ohne Wehrpflicht, deren Krankenhäuser ohne Zivis bestens (na ja, jedenfalls nicht schlechter als unsere) funktionieren. [...]

Tatsache ist zweitens, dass Zwangsdienste in einer halbwegs entwickelten Volkswirtschaft im Vergleich zur Lohnarbeit immer unökonomisch sind. Genau deshalb wurde im 19. Jahrhundert die Sklaverei abgeschafft, und der Gulag war auch volkswirtschaftlicher Schwachsinn. Ein angelernter Zivi ist (2a) per definitionem regelmäßig weniger produktiv als eine ausgebildete Fachkraft. (Genau deshalb werden die nämlich jahrelang ausgebildet: damit sie hinterher produktiver sind.) Der Zivildienst verursacht (2b) erhebliche Kosten für die materielle Versorgung der Zivis (Sold, Verpflegung, Mietfortzahlung, medizinische Versorgung, Rentenansprüche etc).

Er verursacht weiterhin erhebliche Kosten für die Bürokratie, die ihn verwaltet. Wenn beispielsweise die Hauptaufgabe der Kreiswehrersatzämter die Belieferung des Staates mit Rekruten und Zivis ist, dann müssen nach allen Regeln der Kostenrechnung ihre Kosten dem einzelnen „Produkt“ zugerechnet werden. Da die Hälfte aller Gemusterten Zivis werden, müssen die Gesamtkosten der Kreiswehrersatzämter zur Hälfte dem Zivildienst zugerechnet werden, und die Kosten des Bundesamtes für den Zivildienst zur Gänze. Selbstverständlich ist hier eine Vollkostenrechnung zu wählen. Der Aufwand für die Ausbildung der Zivis (Schulungskosten und Alimentierung) kann sich (2c) über den produktiven Anteil der Dienstzeit nicht amortisieren. Vor allem sind aber (2d) die Opportunitätskosten exorbitant. Ökonomie ist nämlich die Lehre von der optimalen Allokation knapper Ressourcen, und Arbeit ist eine knappe Ressource. Zwölf Monate Zwangsdienst sind (ceteris paribus) zwölf Monate verlorene Lebensarbeitszeit im jetzigen oder zukünftigen erlernten Beruf. Wenn eine Gesellschaft will, dass eine (gesellschaftlich nützliche, unterstell ich mal) Arbeit ausgeführt wird, dann soll sie dafür professionelle Arbeitskräfte ausbilden und einigermaßen ordentlich bezahlen. Das kommt auf die Dauer billiger. (Mag übrigens sein, dass ich mich da an der einen oder anderen Stelle verrechne. Das scheint mir jedoch eher verzeihlich, als dass ein Leitartikler noch nicht einmal auf die Idee kommt, dass eine solche Berechnung möglich ist.)

Drittens (und das ist entscheidend) ist zu bedenken, dass eine soziale Dienstpflicht jederzeit problemlos in eine Wehrpflicht zurückverwandelt werden kann, und praktischerweise wird es dann doppelt so viele Wehrpflichtige geben. [...] Solange es eine soziale Dienstpflicht gibt, ist die Wehrpflicht verdammt noch mal nicht abgeschafft. [...] RALF KLEINWORTH, Mannheim

Vor einem Jahr habe ich Zivildienst in einem Krankenhaus geleistet. Ich habe dies als alles andere als „Gerechtigkeit“ empfunden – und ich hätte nichts anderes empfunden, wenn es auch für Frauen Pflicht gewesen wäre. Vielmehr habe ich den Zivildienst als Freiheitsberaubung und eine Form von Zwangsarbeit empfunden. Der Staat hat auf sehr ungerechte Weise in mein Leben eingegriffen. Eine „Chance Verantwortung zu übernehmen“ kann niemals durch eine Zwangsmaßnahme zustande kommen.

MARTIN WALK, Nice, Frankreich