„Auch, wenn andere als die Täter betroffen sind“

■ Bedauern über das „hohe Gewaltpotential im Viertel“: Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) verteidigt im taz-Interview den umstrittenen Polizeieinsatz an der Roten Flora

taz hamburg: Herr Wrocklage, nach Ihrer eigenen Aussage war die Rote Flora am Sonntag „nicht der Ausgangspunkt der Gewalttätigkeiten“. Das Konzert dort sei „unabhängig gelaufen“. Wie lässt sich dann rechtfertigen, dass mehr als hundert unbeteiligte KonzertbesucherInnen über sieben Stunden festgehalten, zur Wache transportiert und fotografiert wurden?

Hartmuth Wrocklage: Sie unterstellen – wie gewohnt. Ich habe den Sachverhalt viel präziser und daher differenzierter dargestellt. Einem Teil der Personen in der Flora müssen begangene Straftaten angelastet werden. Es bleibt abzuwarten, welche Ergebnisse die Ermittlungsverfahren haben. Die Maßnahmen der Polizei sind durch die Strafprozessordnung nicht nur gerechtfertigt, sondern geboten – auch, wenn andere Personen als die Täter betroffen sind.

Zwischen den Auseinandersetzungen auf dem Schulterblatt und dem Abriegeln der Flora lagen zwei Stunden, in denen jeder raus und rein konnte. Die gesuchten TäterInnen waren also zum Zeitpunkt der Abriegelung höchstwahrscheinlich schon nicht mehr in dem Gebäude. Ging es weniger um Strafverfolgung als vielmehr darum, der Roten Flora als politischem Zentrum eine harte Linie zu demonstrieren – und Erkenntnisse zu bekommen, wer sich dort aufhält?

Ihre Frage enthält jede Menge Unterstellungen, die ich allesamt nicht akzeptiere. Die Polizei hat auf klarer Rechtsgrundlage ihre Pflicht getan.

Tatverdächtige haben einen Rechtsanspruch auf anwaltlichen Beistand. Warum wurde den AnwältInnen vor Ort der Zutritt zur Flora verwehrt?

Ihre Feststellung, dass Tatverdächtige einen Anspruch auf rechtlichen Beistand haben, trifft zu. Dieser Beistand ist durch Gesetze geregelt. Das Betreten eines zu durchsuchenden Objekts von Anwälten vor Personalienfeststellung und vor polizeilichen Maßnahmen ist abwegig, insbesondere dann, wenn die anwaltlichen Forderungen auf eine Erschwernis oder das Unterbinden polizeilicher Maßnahmen hinauslaufen können. Einen Rechtsanspruch – wie Sie ihn suggerieren – gibt es nicht.

Um beim Thema Recht und Ordnung zu bleiben: Seit 1990 sind sechs Großeinsätze der Hamburger Polizei im Nachhinein für rechtswidrig erklärt worden. Auch für den Einsatz am vergangenen Sonntag wird es wohl eine Feststellungsklage geben. Diese könnte Erfolg haben, denn die Abriegelung des Gebäudes war faktisch ein Kessel.

Ihre Feststellung ist Unsinn. Jede Frau, jeder Mann konnte die Flora verlassen – unter der Voraussetzung allerdings, dass die Polizei die Personalien feststellt und bei erkannten Tatverdächtigen die weitgehenden Maßnahmen trifft.

Wann bezeichnen Sie einen Polizeieinsatz als erfolgreich?

Wenn Recht und Gesetz durchgesetzt wurden und registriert wird, dass es in Hamburg keine rechtsfreien Räume gibt.

Ist es für Sie auch ein Erfolgskriterium, dass keine oder möglichst wenige Polizisten verletzt werden? Und gilt das auch für Demonstranten?

Je weniger Personen verletzt werden, desto besser. Deshalb haben wir mit Bedauern das hohe Gewaltpotential im Viertel beobachtet und auf die Gewalttätigkeit mit Besonnenheit und Konsequenz reagiert.

Wie kann es bei einem „besonnenen Vorgehen“ der Polizei zu einem Schädelbruch bei einer Demonstrantin kommen? Dafür muss man sehr stark zuschlagen.

Woher wissen Sie erstens, dass es diese Verletzung gibt? Und wenn es die Verletzung gibt: Wissen Sie, ob sie auf Zwangsanwendung durch die Polizei zurückzuführen ist? Stellen Sie sich als Zeugin zur Verfügung?

Es ist eine Szene per Video dokumentiert, in der ein uniformierter Polizist am Schulterblatt plötzlich auf einen Kneipentisch eintritt, ohne, dass ein Demonstrant in der Nähe ist. Ist das auch Randale?

Sie haben sicher Verständnis dafür, dass ich mich nicht zu jedem Unsinn äußere, den Sie mir hier präsentieren. Der BILD-Zeitung war die Polizei zu lasch, Ihnen war sie zu hart. Ich denke, wir haben uns richtig verhalten.

Wünschen Sie den verletzten DemonstrantInnen auch gute Genesung?

Ich wünsche allen Verletzten gute Genesung – Polizeibeamten wie Demonstranten und auch Feuerwehrleuten – und Sie?

Fragen: Heike Dierbach