Leicht und prall

Luftpostermöbel waren einmal Ausdruck der Aufbruchstimmung in den 60er-Jahren. Bis heute gelten sie als Zeichen von Beweglichkeit

von MICHAEL KASISKE

„Heitere Zuversicht, durch Werbung lange aufgebaut, formte eine schillernde Blase, in der das ganze Leben Platz zu haben schien.“ So versonnen erinnert sich der Österreicher Laurids Ortner an seine bunten Luftarchitekturen der 60er-Jahre. Damals entwarfen seine Kollegen vom italienischen Design-Team de Pas, D’Urbino, Lomazzi und Scolari, im Geiste dieser Idylle den Klassiker der Luftpolstermöbel, den prosaisch genannten „BLOW“. Der Sessel – farblos transparent oder in Gelb und Rot – zeigt ein poppiges Design, das sich die Eigenschaften des seinerzeit innovativen Kunststoffmaterials – sinnstiftend Plastik genannt – zu Eigen machte. Der mehr als ein mal ein Meter große „BLOW“ wirkt durchaus sinnlich, zumal sein Korpus wie die Abformung eines immateriellen Objekts aus Rollen und Kissen erscheint und auf feste Elemente wie Beine verzichtet.

Heute werden aufblasbare Gebilde als Zeichen des politischen Aufbruchs gehandelt. Für den französischen Kurator Marc Dessauce sind pneumatische Kreationen Ausdruck von Mobilität, und zwar Bewegung und Flucht in Zeiten gesellschaftlichen Umbruchs. In einem Beitrag zu den fantastischen Projekten der Gruppe „Utopie“ schlägt er einen ideellen Bogen von der Französischen Revolution bis 1968: Von der Montgolfiere 1783 über die Flucht des Premierministers Gambetta im Ballon kurz vor der Pariser Kommune 1870 bis zur Kultivierung pneumatischer Konstruktionen in den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts.

Im Alltag bleiben Mobilität und Leichtigkeit, Geringfügigkeit der Hülle bei Transport und Lagerung die praktischen Merkmale des Möbels. Dies unterstreicht auch Ikea bei seiner Kollektion „a.i.r.“, das für „air is a resource“ steht. Recycelbarer Kunststoff und schnell austauschbare Bezüge sind denn auch weitere überzeugende Sachargumente, obschon die eckigen Formen nichts mit dem eigentlich nahe liegenden Wunsch gemein haben, sich wie auf einer Wolke zu fühlen.

Das Pralle pneumatischer Gebilde kann sich natürlich schnell verlieren: Als ich vor 30 Jahren einmal mit der Schere zustach, wurde die orange Plastikhülle des von meiner Schwester geliebten Hüpfballs zu wertlosem Material. Möbel sollten nachhaltiger sein; Ikea gibt sogar eine Garantie von zehn Jahren auf seine Produkte. Abgesehen von kindlicher Neugierde muss die Ausdehnung der Luft unter Sonneneinstrahlung berücksichtigt werden. Der Hersteller von „BLOW“ gibt als Temperatur für die Nutzung immerhin die mögliche Bandbreite von -5 Grad bis +50 Grad Celsius an, bevor die Hülle Schaden nimmt.

Um die Kraft der Nutzer beim Aufblasen nicht gänzlich zu erschöpfen, liefert Zanotta zum „BLOW“ einen Blasebalg gleich mit. Ikea empfiehlt dagegen in gewohnt hemdsärmliger Manier, die „a.i.r.“-Möbel mit der Hilfe eines Föhns zu füllen. Die britische Firma inflate – nomen est omen – schweigt sich dazu aus; ihr aufblasbarer Paravent, neben kleineren Accessoires das Glanzstück der luftigen Kollektion, erinnert an die „Throw away“-Zeiten vor der Energiekrise. Das von dem jungen Designer Nick Crosbie entworfene transparente Stück setzt sich aus einzelnen, 1,80 Meter hohen Schläuchen zusammen und kann deshalb in beliebiger Länge geliefert werden.

In jeder Hinsicht ein Geschöpf der Luxusklasse ist das aufblasbare Bett „Pisoló“. Ein unauffälliger Hocker im luftleeren Zustand, entfaltet es sich zu einer komfortablen Schlafstatt, wenn mittels eines kleinen Elektromotors Luft eingefüllt wird. Umgekehrt wird es nach Gebrauch auch von dem Motor entlüftet – eine Wohltat, die jeder zu schätzen weiß, der jemals eine Luftmatratze zusammenlegen wollte. So wird die abziehbare Liege mühelos wieder in den orangen, gelben oder silbergrauen Hocker regeneriert, der, seit neuestem auch als Sessel gestaltet, mit dem Namen „Pisola“ lieferbar ist. Ihr Schöpfer, Denis Santachiara, trägt dem modernen Nomadenturm Rechnung, indem einzelne Elemente mehrere Funktionen übernehmen, wie etwa der Hocker nach dem Aufblasen als Nachttisch und der gepolsterte Deckel als Kopfkissen verwendet werden können.

„So könnten auch die gestellten Ansprüche an Mobilität und Veränderbarkeit durch weiche, flexible Bauformen erfüllt werden“, fasst Ortner die Gestaltung so genannter pneumatischer Architektur zusammen. „Der rechte Winkel als Prinzip aller starren Strukturen ließe sich ohne formale Willkür, allein durch die Eigenschaft der neuen Materialien überwinden.“ Übertriebene Befürchtungen oder Hoffnungen braucht aber heute niemand zu hegen: Auch luftgefüllte Möbel rufen in der Wohnung von allein noch keine Revolutionen hervor.

Zanotta bei: Modus, Wielandstraße 27 – 28, 10707 Berlin-Wilmersdorf; Sarnes-Einrichtungen im Stilwerk, Kantstraße 17, 10623 Berlin-Charlottenburg.

inflate bei: dopo_domani, Kantstraße 148, 10623 Berlin-Charlottenburg.

Pisoló + Pisola über Italstyle, Tel.: (089) 84 88 72, Fax: (089) 84 06 03 13.