Ökostrom für ganze Regionen

Es sind immer wieder die gleichen Argumente: Was tun, wenn der Wind nicht bläst? Woher den Strom nehmen, wenn die Sonne nicht scheint? Regionale Projekte zeigen, wie ein ökologisch korrekter Energiemix funktioniert

An der grünen Energiezukunft wird mitten in Nordrhein-Westfalen gebastelt. Die Stadtwerke Werl haben sich ein ehrgeiziges Projekt ausgedacht. Es geht um die Frage, welchen Beitrag dezentrale Energiequellen wie Wind, Sonne und Biomasse zur Energieversorgung leisten können. Mit insgesamt neun Millionen Mark fördert das Land NRW den Energiepark KonWerl. Auf einem ehemaligen Militärgelände soll das Herzstück des Projektes entstehen. Geplant ist ein High-Tech-Steuerungszentrum, mit dem die Strom- und Wärmeerzeugung aus Wind, Sonne, Deponiegas und Biomasse koordiniert werden soll. „Die dezentrale Energieversorgung stellt ganz neue Anforderungen an die Koordinierung der unterschiedlichen Energieträger“, heißt es bei der Siemens AG. Neben dem Erlanger Unternehmen sind an dem Vorhaben die Hochschule Soest, die Stadtwerke Werl und der Energieversorger VEW beteiligt.

Bis Ende des Jahres werden ein Biomasse-Kraftwerk und eine Windkraftanlage gebaut, die ein Gewerbe- und Wohngebiet versorgen sollen, das auf dem ehemaligen Nato-Gelände im Werler Norden entsteht. Über ein dezentrales Energiemanagementsystem soll das Biomasse-Kraftwerk so gefahren werden, dass es Grundlast-Strom rund um die Uhr liefert. Ergänzend dazu liefern die geplanten Propeller und das Deponiegaskraftwerk grüne Elektronen.

Über die Stadtwerke sind die Ökoenergiequellen an den regionalen Netzverbund gekoppelt. In einer zweiten Ausbaustufe wollen die Initiatoren Photovoltaikanlagen, ein Biodieselsystem und eine Batterie-Energiespeicher-Anlage in das KonWerl-Projekt integrieren. „Die Ergebnisse sollen später zu nationaler und internationaler Nutzung zur Verfügung stehen“, meint KonWerl-Geschäftsführer Herbert Teller.

Während an Rhein und Ruhr die traditionellen Energieversorger im grünen „Frühbeet“ erste Verbundlösungen angehen wollen, will Aloys Wobben in Ostfriesland so richtig klotzen. Der Chef der Windmühlenschmiede Enercon ist davon überzeugt, eine Region wie Ostfriesland, in der zwischen Aurich, Emden und Leer eine halbe Millionen Menschen leben und arbeiten, komplett mit Strom aus regenerativen Energiequellen versorgen zu können. „Unter der Bezeichnung Region Regenerativ könnte man ein solches Modellprojekt anschieben“, meint Wobben; technisch gesehen alles kein Problem, weil die Entwicklungsingenieure bei Enercon in Aurich schon seit Jahren an der kombinierten Nutzung unterschiedlicher regenerativer Energieträger arbeiten.

Wobben setzt dabei auf Biomasse. Für eine landwirtschaftlich geprägte Region wie Ostfriesland könnte dies neben der Windenergie eine wichtige Einnahmequelle werden. Das Potenzial im Bereich der nachwachsenden Energieträger ist gigantisch. Nach Berechnungen des Instituts für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung der Universität Stuttgart könnten allein in Deutschland durch die Verstromung von biogenen Festbrennstoffen – Holz, Stroh, Energiepflanzen – pro Jahr 144 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugt werden. Das entspricht etwa einem Drittel des gesamten Jahresstromverbrauchs in Deutschland und ist schon mehr, als die deutschen Privathaushalte im Jahresdurchschnitt verbrauchen.

Vor den Toren der Expo 2000 zeigt Enercon auf den Hermannsdorfer Landwerkstätten am Kronsberg, wie Windenergie im Mix mit Photovoltaik und Biogas-Blockheizkraftwerken funktionieren kann. Rund 100.000 Kubikmeter „Faulgas“ entstehen in einem Fermenter. Dieses Biogas wird in Gasmotoren des Blockheizkraftwerks verbrannt. Die Ökostrom-Generatoren produzieren neben Strom auch Wärme, die für Heizung und Warmwasser des Hofes genutzt werden. Ein ausgefeiltes Stromlastmanagement sorgt dafür, dass auf den Hermannsdorfer Landwerkstätten die erzeugte Energie optimal genutzt wird. „Hier zeigen wir in der Praxis, wie eine ökologische Energieversorgung rund um die Uhr aussehen kann“, so Projektleiter Horst Kluttig.

Zur Deckung des Energiebedarfs in Spitzenzeiten – auch das kann vorkommen – muss aber auch bei diesem Expo-Projekt am Kronsberg Strom aus dem Versorgungsnetz bezogen werden. Um diesen Anteil ebenfalls aus umweltfreundlichen Energien zu decken, errichtete Enercon im März eine E-66 mit 1,8 Megawatt (MW) Leistung auf dem Kronsberg. Die 65 Meter hohe Anlage mit 70 Meter Rotordurchmesser steht etwa 800 Meter von den Hermannsdorfer Landwerkstätten entfernt und sorgt dafür, dass das Dorf energiewirtschaftlich autark ist. „Was hier vor dem Expo-Gelände im Kleinen möglich ist, kann auch im großen Stil bundesweit umgesetzt werden. Die Technik ist da, sie wird noch immer besser. Die Politik muss nur mitspielen, dann ist die Rundumversorgung mit Ökostrom kein Problem“, meint Projektleiter Kluttig.

MICHAEL FRANKEN