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: Saisonhöhepunkt für die Bayern: Das Pokalfinale gegen Werder

ROTIERENDE LAMENTEURE

Irgendwann musste sich ja mal jemand vertun bei der komplizierten Berechnung, wann denn nun ein Fußballprofi der Spitzenklasse wie viel vom Leistungsvermögen wie lange abzurufen habe. Über den Daumen gepeilt sind das in Länderspielen etwa 20 Prozent, im Pokal 35, in der Bundesliga 80 und in der Champions League 100. Klingt ganz einfach und ist doch so schwierig. Erwischt hat es jetzt die Münchner Bayern. Bei 60 Prozent veranschlagte Präsident Beckenbauer die Darbietung beim 0:2 in Madrid. Dummerweise war es Champions League.

Vor allem Jens Jeremies tendierte schwer zur üblichen Länderspielquote, was kaum verwundert, schließlich hatte er ja Nachholbedarf. Vielleicht wähnte er sich aber auch nur im Glauben, Erich Ribbeck habe mit Ottmar Hitzfeld ausgehandelt, dass Jeremies gegen Real nur drei Minuten spielt, um ihn für das Abschiedsspiel von Lothar Matthäus zu schonen.

Jedenfalls hat das Match in Madrid gezeigt, dass deutsche Fußballer nicht nur ungern modernen Fußball spielen, sondern auch nicht rechnen können. Oder die Überzeugung altmodischer Trainer bestätigt, dass nur der Spieler, der selbst in unwichtigen Partien und sogar im Training alles gibt, auch in der Lage ist, alles zu geben, wenn es darauf ankommt. Klar ist: „Man kann nicht mit angezogener Handbremse gute Spiele machen“ (Lothar Matthäus). Bei den Bayern hat die Handbremse gegen Real eindeutig geklemmt.

Dafür hat das Debakel in der Champions League die angestrebte Leistungsquote der Bayern für das DFB-Pokalfinale in Berlin heute Abend, 19.30 Uhr, gegen Werder Bremen (live im ZDF) rasant in die Höhe schnellen lassen. Ist zwar nur ein Blechpott, aber wenigstens kein Blumentopf und aller Wahrscheinlichkeit nach der einzige Titel, der den Bayern in diesem Jahr zu gewinnen bleibt. Zumindest die sportnahen Angestellten des Münchner Klubs – Hitzfeld, Effenberg, Jeremies zum Beispiel – verkünden nun, dass der Pokal unbedingt gewonnen werden müsse und ein wichtiger Markstein auf dem Weg zur Auferstehung der gestrauchelten Münchner sei – wenn auch nicht ganz so wichtig wie das Halbfinalrückspiel gegen Real am kommenden Dienstag. Die Funktionäre wie Hoeneß, Rummenigge, Beckenbauer hingegen würden am liebsten alles abschaffen, was nicht Champions League ist, folgerichtig grummelt Beckenbauer in Sachen DFB-Cup: „Das interessiert jetzt keinen Menschen“.

Wir erinnern uns: Die Bayernführung war mitsamt den Dortmundern (höhö!) maßgeblich daran beteiligt, den europäischen Wettbewerb zu einer Monsterliga aufzublähen, hat sich aber im Gegensatz zu den anderen europäischen Großklubs offenbar nicht mit den Folgen befasst. Nun steht man, nachdem bemerkt wurde, dass die Grenzen der Rotation Effenberg und Matthäus heißen, da wie Goethes Zauberlehrling und haut auf den DFB ein, weil der dem Kalenderjahr nicht ein paar zusätzliche Wochen abringen kann.

Ein zaghafter Versuch wurde zwar unternommen, die europäische Entwicklung wieder umzudrehen, doch die bajuwarischen Mahner blitzten kühl ab bei den südlichen Vereinsbossen. Aber die jammern auch nicht. In Spanien etwa, das drei Klubs im Halbfinale der Champions League hat, ist ein Gezeter, wie es der FC Bayern veranstaltet, wenn er drei wichtige Spiele binnen einer Woche zu bestreiten hat, ebenso unbekannt wie das Gerangel um Einsatzzeiten für Nationalspieler. Als der FC Barcelona plötzlich ein Match nach dem anderen verlor, war die Überbelastung kein Thema, und dass etwa ein Luis Figo im portugiesischen Nationaltrikot nur mit halber Kraft agiert, scheint geradezu absurd. Manchester United wiederum schwänzte den FA-Cup nicht etwa wegen der vielen „englischen“ Wochen, sondern, weil der Klub auf Bitte des Verbandes und in Diensten der WM-Bewerbung an der Klub-WM teilnahm. Ein Kelch, der an den Bayern gerade noch vorüberging. Zum Glück: Was hätten wir uns alles anhören müssen, wären die Münchner im Januar bei dem Turnier in Brasilien gestartet.

„Wir gehören jetzt zu den fünf besten Mannschaften Europas“, hat Manager Uli Hoeneß jüngst kühn behauptet. Nach den beiden letzten Champions-League-Spielzeiten sogar mit einer gewissen Berechtigung. Völlig unbestreitbar aber ist: Im Lamentieren sind die Bayern einsame Spitze. MATTI LIESKE