Dann eben auf die Finger

Gebrochene Finger und sechs Wochen eingegipste Arme: Wie Annemarie Weber den „besonnenen“ Polizeieinsatz vor der Roten Flora in der Nacht zum 1. Mai erlebte  ■ Von Elke Spanner

Mit Bedauern habe er das „hohe Gewaltpotential beobachtet“, sagte Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) am Samstag im taz-Interview – und meinte damit diejenigen, die in der Nacht zum 1. Mai im Schanzenviertel Barrikaden errichteten. Seine PolizistInnen hätten darauf „mit Besonnenheit und Konsequenz“ reagiert. Infolge des besonnenen Polizeieinsatzes muss Annemarie Weber (Name geändert) heute zur Operation ins Krankenhaus.

Vier Finger haben BeamtInnen ihr gebrochen – als sie die Hände schützend über den Kopf hielt, damit der Polizeiknüppel nicht diesen träfe.

Annemarie befand sich gerade im Gebäude der Roten Flora, als draußen auf dem Schulterblatt Barrikaden in Brand gesetzt wurden. Als sie wieder auf die Straße trat, beobachtete sie Auseinandersetzungen zwischen PolizistInnen und DemonstrantInnen, in die sie dann verwickelt wurde: Uniformierte versetzten ihr einen Schlag in den Magen. Sie taumelte. In Panik wollte sie in die Flora fliehen und rannte den Seiteneingang hoch, wo sich viele Leute drängelten – auch, weil dort demnächst das Konzert einer baskischen Band losgehen sollte.

„Plötzlich waren auch da Polizisten und haben zugeschlagen“, erinnert sich Annemarie. Intuitiv riss sie beide Arme zum Schutz vor den Knüppeln über den Kopf – „und dann habe ich es auf die Finger bekommen“. An beiden Händen sind jeweils zwei Finger gebrochen. So wie die Bruchstellen verlaufen, sagt Annemarie, müssen es zwei Schläge gewesen sein.

Die Innenbehörde hatte den Polizeieinsatz damit begründet, sie habe gegen Straftäter vorgehen und diese festnehmen wollen. Von einer Festnahmesituation kann hier indes keine Rede sein. „Sie hätten mich locker mitnehmen können“, sagt Annemarie. „Aber sie haben zugeschlagen und sind gegangen.“

Da die Flora später von der Polizei abgeriegelt wurde, hat Annemarie die ganze Nacht in dem Gebäude verbracht. Zusammen mit rund 120 anderen wurde sie am nächsten Morgen mit Sonderbussen zur Personalienfeststellung auf Polizeiwachen gebracht. Vier bis fünf Mal habe sie vergeblich nach einem Arzt gefragt. Erst als die anderen Festgenommenen ankündigten, ihre Passabgabe bis zur Freilassung von Annemarie zu verweigern, riefen die BeamtInnen einen Krankenwagen an.

„Die Polizisten müssen gesehen haben, dass ich vor der Flora nur gestanden habe“, betont Annemarie. „Sie haben einfach willkürlich drauflos geschlagen.“ Heute wird sie operiert. Etwa sechs Wochen lang werden beide Arme bis zu den Ellenbogen eingegipst bleiben. Eine Krankenschwester habe gesagt, dass Schläge kräftig sein müssen, wenn sie Finger brechen.

Und dass es „sehr gut gewesen ist, dass ich meinen Kopf geschützt habe“.