Rechtswidrigkeit, Meineid und Freiheitsberaubung

■ Schon acht Mal wurden Hamburger Polizeieinsätze gerichtlich geahndet. Eine streng rechtsstaatliche Chronik

Die Rot-FloristInnen wollen eine Feststellungsklage beim Verwaltungsgericht einreichen. Der Polizeieinsatz von vorigem Sonntag, sagen sie, sei rechtswidrig gewesen: Das Stadtteilzentrum Rote Flora am Schulterblatt war über Stunden abgeriegelt, die BesucherInnen waren faktisch eingesperrt. Der Kontakt zu ihren RechtsanwältInnen wurde von der Polizei verboten. Um die Flora wieder verlassen zu können, mussten alle ihre Personalien abgeben, die sich in dem Gebäude befanden, in dem an diesem Abend ein Konzert stattfinden sollte.

Die Bilanz der Polizei über die vorübergehenden Ingewahrsamnahmen hinaus: Rund 30 durch Polizeiknüppel verletzte Demons-trantInnen, darunter eine Frau mit Schädelbruch, eine andere mit vier gebrochenen Fingern. Mehrere Verletzte mussten vom Notarzt vor Ort versorgt werden, von mindestens vieren ist bekannt, dass sie ins Krankenheus gebracht wurden.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Verhältnismäßigkeit eines Polizeieinsatzes in Hamburg fragwürdig ist. Die Liste richterlicher Schelte ist lang, mehrfach haben Verwaltungs-, Straf- oder ZivilrichterInnen festgestellt, dass es die Ordnungsmacht gewesen war, die die öffentliche Ordnung in der Stadt beeinträchtigte.

Am 8. Juni 1986 kesselte die Hamburger Polizei 861 Anti-Atom-DemonstrantInnen 13 Stunden lang auf dem Heiligengeistfeld ein, um eine „Schneise der Gewalt“ zu verhindern. Das Verwaltungsgericht erklärte den „Hamburger Kessel“ für rechtswidrig und sprach den Betroffenen symbolisch 200 Mark Schmerzensgeld zu. Das Landgericht verurteilte die verantwortlichen Polizeiführer am 23. Oktober 1991 wegen Freiheitsberaubung zu Geldstrafen.

Am 29. November 1991 räumte die Polizei vor dem Verwaltungsgericht ein, dass die Auflösung einer Demonstration für die Zusammenlegung der politischen Gefangenen am 18. April 1989 rechtswidrig war. BeamtInnen hatten nach einer Aktion vor dem Altonaer CDU-Büro eine Spontandemo in der Großen Bergstraße eingekesselt und 41 Personen festgenommen.

Im März 1990 bezeichnete das Bremer Verwaltungsgericht den sogenannten „Wanderkessel“ – die „einschließende Begleitung“ durch behelmte und mit Schildern ausgerüstete PolizistInnen – als „nicht vereinbar“ mit dem Versammlungsgesetz. Das Konzept des Wanderkessels hatte die Hamburger Polizei konzipiert.

Am 16. Juni 1991 räumte die Polizei vor dem Verwaltungsgericht ein, dass die Maßnahmen anlässlich einer Demonstration nach der Verhaftung der Gentechnik-Gegnerin Ulla Penselin rechtswidrig war. Die Polizei hatte am Versammlungsplatz in Altona umfassende Zugangskontrollen durchgeführt und die Demo in einem Wanderkessel begleitet.

Am 23. August 1991 erklärte das Verwaltungsgericht Hamburg die Auflösung der Solidemo vom 16. Januar 1989 für den damals inhaftierten Atomkraftgegner Fritz Storim für „rechtswidrig, da die Polizeimaßnahme „unverhältnismäßig“ war und das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit verletzte.

Am 18. Juli 1994 erklärte das Verwaltungsgericht einen Polizeieinsatz am Hamburger Flughafen vom 27. November 1992 für rechtswidrig. Anlässlich der Überführung der Todesopfer des rassistischen Möllner Brandanschlages hatten Beamte den Flughafenterminal abgeriegelt und durch Knüppeleinsatz mehrere Trauergäste verletzt. Angeblich habe die Kurdische Arbeiterpartei PKK eine Aktion geplant, lautete die Begründung. Das Gericht: „Die Gefahrenprognose war falsch.“

Am 8. November 1993 rügte das Itzehoer Landgericht die Polizei, die beim „Plattenleger-Prozess“ wichtige Akten vorenthalten oder nur geschwärzt vorgelegt hatte. Die Staatsanwaltschaft leitete anschließend gegen vier Fahnder Ermittlungen wegen des Verdachts des Meineides ein. Sie hatten im Anschluss an eine Observierung der beiden Rot-Floristen Knud A. und Ralf G. im Juni 1992 behauptet, diese hätten Betonplatten auf Bundesbahngleise bei Pinneberg gelegt, um die Räumung des Flora-Parkes zu rächen. Die Anklage brach vor Gericht zusammen, der Prozess endete mit Freisprüchen für die Beschuldigten.

Am 23. Oktober 1995 bezeichnete das Verwaltungsgericht Schwerin den Bad Doberaner Kessel als rechtswidrig. Hamburger Bereitschaftspolizei hatte am 29. August 1992 unter dem Vorwand, Personen aus dem „RAF-Umfeld“ aussondern zu wollen, in Mecklenburg den Hamburger Konvoi gestoppt und mehrere Stunden eingekesselt, der nach den ausländerfeindlichen Krawallen von Rostock-Lichtenhagen auf dem Weg zu einer antirassistischen Demo in Rostock war. Das Gericht: „Die Personenkontrollen waren rechtswidrig.“

Kai von Appen / Elke Spanner