Wie aus Naserümpfen Komplimente werden

■ Der russische Menschenrechtler Sergej Kowaljow hat den Oldenburger „Carl von Ossietzky Preis“ bekommen. In seiner Dankesrede bekräftigte er seine Kritik an der deutschen Tschetschenien-Politik

„Der weiße Rabe Sergej Kowaljow ist ein weißer Rabe geblieben. Schade, dass es davon so wenige gibt in Russland wie anderswo.“ Der Journalist Klaus Bednarz fand engagierte und deutliche Worte in seiner Laudatio zur Verleihung des „Carl von Ossietzky Preises“ der Stadt Oldenburg an Sergej Kowaljow. Bednarz sprach als Mitglied einer vierköpfigen Jury, die erstmals in der zwanzigjährigen Geschichte des mit 20.000 Mark dotierten Preises zu einem einstimmigen Urteil kam.

Der russische Mikrobiologe und Bürgerrechtler Sergej Kowaljow hatte sich auch nach langjährigen Lager- und Gefängnisstrafen schon während des ersten Tschetschenien-Krieges engagiert zu Wort gemeldet. Als späterer Menschenrechtsbeauftragter der Regierung Jelzin klagte er seinen eigenen Dienstherrn direkt aus Grosny an. Kowaljow konnte sich auf den Menschenrechtsteil der neuen russischen Verfassung beziehen, die unter seiner Federführung für „auf alle Zeiten unabänderlich“ erklärt wurde. Unter Präsident Putin wurde Kowaljow politisch ausgehebelt und ist nun als einfacher Dumaabgeordneter vielfach Zielscheibe politischer Agitation, welche die „Kugel für Kowaljow“ fordert.

„Ich hoffe, dass der Preis ein Ausdruck der Besorgnis für das ist, was derzeit in Russland vor sich geht“, betonte der 71-Jährige bei der Preisverleihung. In einem Gespräch mit der Presse bezeichnete er die deutsche Haltung gegenüber Russland als „typische feige, kurzsichtige westliche Politik. Angesichts der Bilder aus Grosny äußern sie sich zwar beleidigt und naserümpfend, aber diese Kritik wird von unseren Politikern eher als Kompliment verstanden.“ Kowaljow kritisierte die deutsche Außenpolitik als unschlüssig und daher schädlich. „Andrej Sacharow sagte bereits 1988: ,Mein Land bedarf der Unterstützung und des Drucks.'“

Zwischen diesen Elementen mochte sich der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung als einer der Festredner nicht so recht entscheiden. Gerd Poppe äußerte Verständnis für die Kritik, „nur unsere Mittel sind sehr begrenzt“. Poppe verwies auf die im Rahmen der 56. VN-Menschenrechtskommission in Genf am 25. April 2000 verabschiedete Resolution zu Tschetschenien sowie auf die Forderungen der OSZE und des Europarates. Das reichte dem Preisträger nicht aus: „Wenn der Ministerrat von den Instrumenten Gebrauch gemacht hätte, um Druck auszuüben, wären wir weiter. Der Ministerrat aber wird die Resolution bremsen!“ Und auch Klaus Bednarz warnte vor einer „Mythenbildung“: Die ersten Wochen des zweiten Tschetschenienkrieges seien geprägt gewesen von „schändlichem Schweigen, auch der Bundesregierung, die auf innere Angelegenheiten der russischen Föderation verwies“, was Gerd Poppe brüsk zurückwies. Doch Bednarz beharrte: „Es waren meine Kollegen, die reagiert haben, erst daraufhin hat sich die Bundesregierung gerührt!“

Und es war Sergej Kowaljow der unter Bombenhagel in laufende Kameras seine Erlebnisse der Weltöffentlichkeit memorierte. „Ich möchte fragen: Welche Regierung hat ihre Diplomaten zu Konsulta-tionen zurückgerufen? Das wäre die weichste Form diplomatischen Druckes!“ Verschmitzt und ermutigend schloss er: „Jeder Russe wird Ihnen drohen, dass er Sie in Stücke reißt, bevor er auf dem Bauch zu Ihnen kriecht.“ Nur wer mutig den Drohgebärden widerstehe, werde Gesprächsbereitschaft erreichen.

Marijke Gerwin