Liebschaften in Wurst und Käse

■ Extra bei Extra: Das Ensemble „Aspik“ verwandelte in seiner Performance „Discounter“ den Supermarkt in ein Wohnzimmer

Nein, es ist mir nicht möglich, auch nur annähernd den Stoff der Theateraufführung „Discounter“ am Freitagabend wiederzugeben. Warum? Nun, bei der Performance der Theatergruppe „Aspik“ im Ext-ra-Supermarkt vor dem Steintor kam es ganz darauf an, wann man sich wo aufhielt. Einen Großteil des vom Jungen Theater veranstalteten Gastspiels habe ich daher, wie alle anderen Theater-Einkaufs-Besucher auch, verpasst. Ganz wie beim Einkaufen eben. Da bekommt man die Schlacht um die letzte Tiefkühlpizza auch nicht mit, wenn man gerade bei den Tomaten steht. Daher also, statt einer „ordentlichen“ Theaterrezension, hier der Bericht eines ganz persönlichen Einkaufserlebnisses:

Es war schon ein seltsames Gefühl, abends um Viertel vor neun die heilige Zone des Ladenschlussgesetzes zu durchbrechen. Nahezu ehrfürchtigen Schrittes begab ich mich in das Untergeschoss des Supermarktes. Nun stand man also da. Und jetzt? Neugierig schaute ich mich um. Zwischen Konservendosen und Tütensuppen fand ich eine Ansichtskarte aus Holland: „Ich schäme mich so, dass ich fast den Mut verloren hatte, dir zu schreiben ...“ Ich blickte auf und sah, wie sich mitten im Gang jemand rasierte. Aha, das gehörte also schon zur Performance: Der Supermarkt als Wohnzimmer.

Dann ging plötzlich das Licht aus. Stockfinster wurde es zwischen den Backmischungen und Gewürzgurken. Klagende Schreie waren aus dem anderen Ende des Marktes zu vernehmen. Was war das? Doch schon wurde es wieder hell, und jemand lief durch den Markt und führte über ein Handy ein Streitgespräch mit seiner Freundin. Ein anderer diskutierte mit einem Freund am Kühlregal über seine Liebesprobleme: „Okay, sie sieht scheiße aus, aber denk' doch mal an bleibende Werte!“ Und wieder ging das Licht aus.

Eine Angestellte des Supermarktes nutzt die Dunkelheit und zieht mich zur Seite: „Gib das wieder raus, was du da eingesteckt hast!“ „Ich habe gar nichts eingesteckt!“ „Jetzt gib es raus, ich hab's vorhin gesehen!“ Endlich lässt sie von mir ab und wendet sich einer anderen Besucherin zu: „Gib das wieder raus ...“

Bald ging das Licht wieder an, und der Mann, der sich vorhin rasierte, stand neben mir. Ob er mir sein Gedicht vorlesen dürfe, fragte er mich. „Gerne“, antwortete ich. Und der Mann, der sich mit „Olaf“ vorstellte, trug sein seichtes Werkchen über eine verflossene Liebe vor. Ich versicherte ihm, dass der Schluss ganz gelungen, der Anfang aber ein wenig zu kitschig geraten sei. Das sah Olaf ein und bedankte sich für die Kritik.

Solche einzelnen Aktionen wurden nun seltener. Langsam zent-rierte sich das Geschehen vor der Rolltreppe. Da versuchte jemand, „die Message des Ganzen“ zu vermitteln, woran er wiederum von einem anderen gehindert wurde: „Das ist verdammt flach, was du hier machst!“

Schauspielerische Leistungen standen bei dem Spektakel freilich im Hintergrund. Es war weniger ein Theaterstück als vielmehr ein Spiel. Der Reiz der Veranstaltung liegt in der Idee: Warum irritiert es, wenn im Gewürzregal neben Curry und Hagelsalz auch eine Bibel steht? Wieso ist es unpassend, vor Senfgläsern intime lyrische Texte zu kommentieren?

Leider zog sich das absurde Theater mit neunzig Minuten zu sehr in die Länge. Eine Stunde hätte es auch getan. Schließlich fand man doch noch zu einem Ende, und bei einem Gläschen Wein konnte man sich mit den Schauspielern ganz normal unterhalten zwischen Gurken und Eisbergsalat.

Johannes Bruggaier