Partys statt Anzeigen

Die Wiener „webfreetv.com“ vergab den ersten europäischen Preis für Internetfilme
von NIKLAUS HABLÜTZEL

Allmählich müssen wir uns an den Gedanken gewöhnen, dass der Potsdamer Platz nicht mehr nur eine Baustelle ist. Ein Sommerabend im Forum des Sony-Centers vermittelt schon jetzt ein gewisses futuristisches Flair. Sogar in Wien scheint man das nicht mehr übersehen zu können, jedenfalls dann nicht, wenn es auch dort um den Anschluss an das Zeitalter der digitalen Revolution und des Internets geht. Im alten Wien ist das möglicherweise sogar schwieriger als im neuen, glücklicherweise noch etwas gesichtslosen Berlin.

Spätestens wenn der Fahrstuhl in den Keller des Filmhauses an der Potsdamer Straße 2 saust, ist kaum noch ein Zweifel möglich, dass soeben eine neue Zeit begonnen hat. So etwa muss sie aussehen, ein multimediales Rauschen aus Glas, Stahl und Bits, eine vollkommen inhaltlose Videoschleife auf der Leinwand links, davor die Gäste der Party, die ihrer Medienkompetenz so sicher sind, dass sie sogar die Eitelkeit eines auffälligen Stils längst hinter sich gelassen haben. Alles ist möglich, willkommen und vernetzt.

Ganz selbstverständlich klang deshalb, wenn später der Wiener Roman Padiwy erklärte, warum seine heute noch bloß versuchsweise an der Börse notierte Firma nun auch in Berlin und im Sony-Center aktiv werde. Berlin sei das Zentrum des Neuen, sagte er, hier wird der „Flagship Shop“ eröffnen, auf den Padiwy ganz besonders stolz ist. Es geht ihm um das Konzept, also um den Geist seines Unternehmens, das so heißt wie seine Internetadresse, nämlich „www.webfreetv.com“. Gerichtsstand der Firma ist Wien, ihr idealer Ort jedoch der Cyberspace. Padiwy und sein Partner produzieren Werbefilme für das Internet und haben eine für diesen Zweck verbesserte Kompression der notorisch riesigen Datenmengen entwickelt. Die Patentierung des Verfahrens steht bevor.

Was nun den Namensteil „.com“ betrifft, so steht der endgültige Börsengang noch in diesem Jahr bevor. Die Aussichten sind glänzend, für den Einstand im neuen Berlin sollte jedoch nicht das Geld im Vordergrund stehen. Hier ging es vor allem um das Wort „free“ in der Mitte des Firmennamens. Seine zentrale Bedeutung sollte unterstrichen werden durch die Verleihung des „first european internet film award 2000“. Das Event ist am Freitagabend im Filmhaus vollzogen worden, Höhepunkt der Party war nicht die Übergabe beachtlicher Geldpreise zwischen 1.750 und 7.000 Euro an lauter glückliche Menschen, die Filmemacher sind oder es hiermit werden wollen. Das lag zum einen daran, dass die Preiswürdigkeit der von einem mutmaßlich weltweit verteilten Publikum der Surfer ausgelobten Kurzfilmchen nicht unmittelbar einleuchtete. Sogar webfreetv.com hatte am anderen Tag noch immer keine Zeit gefunden, die Preisträger auf seiner Website namentlich zu nennen.

Noch mehr aber lag es aber daran, dass das Prinzip der Auszeichnung von Besten, Zweitbesten und Drittbesten der Grundidee der Wiener Firma widerspricht. Danach soll nämlich gerade die fortgeschrittenste Technik der Verbreitung von Videodaten über das Internet keineswegs nur den bezahlenden Industriekunden zugute kommen. „Unser Ziel ist die Commuity“, sagt Padiwy an der Bar, und wer immer will, kann und soll deshalb seine eigenen Filmideen bei webfreetv verwirklichen. Willkommen sind auch bloße Anregungen oder Themenvorschläge, die Padiwys professioneller Stab dann in Abstimmung mit der Usergemeinde selber realisieren will. Typisch ist daher in der Tat das kommende „flagship shop“-Studio im Sony Center, in dem die für das Internet nötige Videotechnik kostenlos zur Verfügung stehen wird.

Alte, basisdemokratische Ideen sind das zweifellos, die schon bei der Gründung des Offenen Kanals im analogen Fernsehen Pate gestanden haben. Offenbar sind sie keineswegs überholt. Hunderte von Kurzfilmen sind mit etwas Geduld auch per schlichtes Modem auf der Website von webfreetv abrufbar. Veraltet wirkt daran höchstens die Frage,ob es sich jeweils um Kunst, gar um preiswürdige Werke von Autoren handle. Die Hierarchien sind flach geworden, nicht nur oben in den Chefetagen unter dem Zeltdach, die noch überwiegend leer stehen, auch unten im Keller des Filmhauses. Padiwy jedenfalls fand es sinnvoller, seinen Werbeetat mit dieser Berliner Party zu belasten als mit Anzeigen in Hochglanzmagazinen. Recht hat er. Mal sehen, was noch daraus wird.

Hinweis:Wer will, kann und soll seine Filmideen bei webfreetv verwirklichen