Der Würger vom Tivoli

Hasstiraden Ost gegen West im Jahr 11 nach dem Mauerfall: Aachens Trainer Hach geht dem Cottbuser Franklin an die Gurgel und steht vor einem Strafverfahren wegen Körperverletzung

aus Aachen BERND MÜLLENDER

Ein grandioses Siegtor kurz vor Schluss. 1:0. Jubelstürme, Euphorie. Alemannia Aachen schlägt Konkurrent Energie Cottbus und kann jetzt selbst noch den Durchmarsch in die 1. Liga schaffen. Doch die Freude der Spieler am späten Freitagabend ist auffallend verhalten, manche schleichen kommentarlos nach Hause. Gehemmt wirken sie, als schämten sie sich für ihren Trainer. Einer sagt nur: „Es ist sehr traurig.“

Als Lautsprecher war Eugen Hach schon vorher bekannt: „Wir müssen noch aggressiver sein. Ohne Rücksicht auf Verluste.“ Oder: „Der Tivoli muss brennen wie eine Fackel“, was manchen erschreckend nach Drittem Reich klang. Seine Lieblingsvokabel ist „brutal“: „Das wird wieder ein brutales Spiel – und wir brauchen brutal viel Unterstützung.“ So gesprochen vor dem Hit gegen Cottbus.

Dann schritt Hach zur Tat.

Von Anfang an war die grell giftige Atmosphäre spürbar bis in die letzte Tribünenritze. Eine letzte Provokation gelang dem Stadionsprecher, als er „unsere Gäste aus Chemnitz“ begrüßte. Fouls in Serie, meist von Cottbusser Seite, Provokationen, Theatralik. Die üblichen Mätzchen. „So einen Hass“, sagte nachher Aachens Stephan Lämmermann (32), „hab ich in meinem Leben noch nicht erlebt“.

In der 8. Minute das Novum im deutschen Profifußball: Als der Cottbusser Bitencourt Franklin ein paar Meter vor ihm steht, läuft Hach auf den Platz, umklammert ihn von hinten am Hals und drückt zu. Ekelhaft, es scheint ewig zu dauern. Entsetzen auf den Tribünen. Dagegen waren die Schubsereien im November zwischen Lothar Matthäus und Eindhoven-Trainer Eric Gerets eine Liebesbekundung.

Wüste Tumulte folgen, alle Spieler und Betreuer auf einem Haufen. Hachs eigene Spieler versuchen, ihn loszureißen. Der umsichtige Schiedsrichter schickt ihn auf die Tribüne und verfasst einen Sonderbericht („Hach hat ihn mit beiden Händen am Hals gewürgt“). Franklin präsentiert nach dem Spiel seine üppigen Würgemale und Blutergüsse am Hals; er werde „natürlich Strafantrag stellen“.

Danach gossen alle erst rechtÖl ins Feuer. Hach polterte auf der Pressekonferenz in steigender Fonzahl: „Ich habe versucht, Franklin wegzuhalten, um meine Spieler zu schützen. Es geht um viel, da kracht’s auch mal. Ich weiß nicht, warum ich auf die Tribüne musste.“ Kein Wort des Bedauerns. Stattdessen zum Kollegen Eduard Geyer: „Die Zeit des Ostbonus ist vorbei. Es tut mir Leid – ihr müsst hier nicht so rumjammern, ja.“

Geyer, der letzte DDR-Nationaltrainer, hatte vorher das Aachener Allerheiligste beleidigt: „Ich hab in 20 Jahren schon mehr erlebt als dieses kleine Tivoli hier. Aber noch nie solche Ausfälle.“ Und er glaubt an eine West-Verschwörung: „Cottbus ist der Bundesliga wohl zu klein.“ Immerhin wurde keiner mehr tätlich.

Fußball-Deutschland klagt über harmlose Flaschen wie Erich Ribbeck. Dabei werden, vom Jugendfußball ganz zu schweigen, ganz andere Leute auf oft erst 18-jährige Jungprofis losgelassen. Als Übungsleiter und (Fußball-) Lehrer. Vorbilder für Spieler? In Verantwortung gegenüber latent gewaltbereiten Fangruppen?

Hach gilt als Brachialpädagoge und unberechenbarer Hitzkopf, gegen den jedes Kraftwerk wie ein Kühlschrank wirkt und Rumpelstilzchen wie ein Apath. In minder schweren Fällen beschimpft er seine Spieler in Pfälzer Idiom als „Osterhasen“. Es sei denn, sein Team verliert: Dann redet er beleidigt tagelang kein Wort mit den Spielern und lässt über den Co-Trainer Übungszeiten mitteilen. Als die Alemannen (auch dank Hachs Harakiri-Taktik) das Prestige-Duell beim 1. FC Köln 0:4 verloren, gab er eine einmalige Strafarbeit auf: Er ließ sein Team kommentarlos das Spielvideo gucken – im Bus auf der Rückfahrt und vor dem heimischen Stadion, bis das Band zu Ende war. Arbeitsschluss: weit nach Mitternacht.

Leuten, die er nicht leiden kann, wünscht Hach „gute Reise“ mit dem fürsorglichen Zusatz „Pass uff, dass dein Flugzeug nicht abstürzt“. Im März ließ er zwei hoch beleumundete Jugendtrainer fristlos beurlauben. Weil er mit ihnen nicht könne. Nachwuchsspieler, die von den beiden aufgebaut wurden und jetzt Hachs Ruhm mehren, waren schockiert. Auffallend, dass die Elf bei Torjubel nicht mehr, wie zu Saisonbeginn, mit dem Trainer jubelt, sondern unter sich.

Aachens Thierry Bayock (20) aus Kamerun, obwohl erst seit sechs Wochen im Kader, hatte schon vor der Würgeattacke erkannt: „Ich glaube, dieser Trainer wird nie einen Fehler zugeben.“ Der Einzige, auf den Hach höre, heißt es in Clubkreisen, sei sein Mannheimer Freund Klaus Schlappner. Der trainierte auch einst in der Bundesliga, arbeitete viele Jahre in China und kandidierte für die NPD. Schlappners Sohn, ein Spielervermittler, ist wie ein Betreuer ständig bei der Aachener Mannschaft dabei.

Der gelernte Handwerker Hach hat in dieser Saison rekordverdächtige 30 Spieler eingesetzt und manche zwischendurch ohne Begründung auf die Tribüne geschickt. „Ich will jedem Spieler die Wichtigkeit aller zeigen“, sagt er. Er meint damit: Ich will allen die eigene Unwichtigkeit zeigen. Denn: „Es geht nur um den Verein.“ Er meint: Es geht um mich, meine Karriere.

Wenn er Spieler aussortiert, wie jetzt geschehen, tut er das öffentlich über die Medien. Abwehrspieler Ingo Menzel erfuhr es „aus der Zeitung“: „Mit mir hat er kein Wort gesprochen.“ Im WDR wurde Hach neulich als „Trainer mit Fingerspitzengefühl“ gepriesen. Eine Spielerfrau dazu: „Ich dachte, ich werde bekloppt. Ich hab richtig Krämpfe bekommen.“ Eine andere: „Der ist größenwahnsinnig und von Ehrgeiz zerfressen.“

Auch später am Freitagabend gab sich Hach als provoziertes Opfer; er sei „nur als Schlichter“ aufgetreten. Mittlerweile titelte Sat.1 schon im Teletext als Aufmacher: „Eklat! Trainer würgt Spieler.“ Hach über sein Opfer: „Die Ankündigung, gegen mich zivilrechtlich vorzugehen, ist lächerlich.“ Für Körperverletzung sieht § 223 Strafgesetzbuch eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vor.

Cottbus-Präsident Dieter Krein sagte: „Ich sollte mich wundern, wenn der die nächsten Spiele noch Trainer ist.“ Alemannia-Präsident Hans Bay konterte die Brandenburger landsmannschaftlich aus: „Ach, wenn ich diese Sachsen schon höre, wird mir schlecht.“ Als Gastgeber wusste er, „diese Herren aus Cottbus“ hätten „unsere Gastfreundschaft aufs Schlimmste missbraucht“. Über Eduard Geyer: „Der hat doch Komplexe und ist ausgeflippt. Das konnte er 40 Jahre bei Mielke tun, aber nicht hier. Die sind doch alle ostgeschädigt.“

Eine einstweilige Freistellung von Hach? „Lächerlich. Unser Trainer hat doch versucht, Ruhe reinzubringen.“ Gleich danach kommt ein anderer Vereinsoffizieller und brüstet sich vor Zeugen damit, er habe im Ü-Wagen dafür gesorgt, dass die entscheidenden Szenen nicht im DSF gezeigt wurden: „Die richtig harten Bilder sind entsorgt.“

Hach ist, nach einem Platzverweis im Oktober in Chemnitz, aktenkundiger Widerholungstäter. Fürchtet der Club eine längere Sperre? Bay: „Ach was, wir hatten doch den Edi Braun hier.“ Egidius Braun, DFB-Präsident, war Gast im Stadion. Als Dieter Krein Bevorteilung durch DFB-Nähe vermutete, sagte Hans Bay ihm ins Gesicht: „Sie sind ein Drecksack.“

Wir erleben, wie Präsident und Trainer das Image des Traditionsvereins zerstören. Dass durch das Theater vielleicht alle Aufstiegschancen schwinden. In Internetforen stapeln sich böseste kollektive Morddrohungen für den Fall, dass Aachen jemals wieder in der Lausitz auftaucht.

Alemannia sucht gerade verstärkt „nach überregionalen Firmen“ als Sponsoren. Wer wird nach dem Freitagspiel spontan interessiert sein? Filmverleiher, die den „Würger“ von Edgar Wallace im Programm haben? Trikotsponsoring durch die World Wrestling Federation? Oder Pharmafirmen mit Mitteln gegen Brechreiz, Schluckbeschwerden und Atemnot? Nur, wer hat Antihachivum Eugenialis im Programm?