nebensachen aus tokio
: AUSBRUCHSVERSUCH AUS DER GEBORGENHEIT DER GROSSEN GRUPPE

Taka sucht eine Partnerin, mit der er zusammenleben und vielleicht Kinder kriegen möchte. Ein schwieriges Unterfangen. 64 Telefonnummern unverheirateter Frauen hat Taka in seinem Handy gespeichert. Er ist beliebt. Unzweifelhaft. Ich traf Taka mit mehr als zehn seiner wechselnden „Freundinnen“. Die schwärmen von seinem Humor und der Gradlinigkeit seines Auftretens. Aber Taka ist ein schwieriger Mann. Er passt so gar nicht in das gängige Muster eines Japaners. „Ich kann ihn nicht einordnen“, sagte mir seine jetzige Freundin Maki. Das macht die Entscheidung der 26-jährigen Softwareentwicklerin für Taka so schwierig.

Taka selbst will sich nicht einordnen lassen. Der 32-jährige Computergrafikdesigner ist selbstständig, hat wenig Geld und fährt kein Auto. Dafür rast er mit violetter Rastafrisur auf einem Mountainbike zur Arbeit und weiß, wie thailändisches Curry gegart wird. Taka hasst Schlipse, trägt HipHop-Hosen und tanzt pro Woche eine Nacht durch. Mit seinen früheren Studienkollegen hat er vor fünf Jahren gebrochen. Die sind inzwischen verheiratet, haben Kinder und leben in Eigentumswohnungen in den Vorstädten.

Taka probierte auch mal als Ehemann, dem japanischen Muster zu entsprechen. Er buckelte in der Firma, trug Schlipse und besoff sich abends mit den Abteilungsleitern in Kneipen. Für seine Frau reichte die Zeit kaum noch, geschweige denn für Hausarbeiten. Trotzdem wurde er von seinen Eltern, den Schwiegereltern, den Vorgesetzten, den Studienkollegen und manchmal sogar von seiner Frau gelobt. DennTaka passte ins Muster eines jungen japanischen Mannes. Doch nach fünf Jahren reichte Taka die Scheidung ein.

Der Ausbruch ist gelungen. Nun fehlt ihm das, was japanische Männer so schätzen: Die Geborgenheit einer großen Gruppe. Taka fühlt sich ausgegrenzt, und das Gefühl wird mit jedem Jahr stärker. Sein Vater gibt ihm wortlos zu spüren, dass er die freie Tätigkeit seines Sohnes missbilligt. Die Mutter will nicht verstehen, warum er den sicheren – aber langweiligen – Ehehafen verließ. Seine wechselnden Freundinnen lassen Taka recht bald wissen, dass nur Aussicht auf eine längere Partnerschaft bestünde, wenn er einen sicheren Job, eine größere Wohnung und den Willen zur Unterordnung finden kann. Ist Taka eine Ausnahme?

Nein. Männer wie Taka waren vor fünf Jahren in Tokio eher selten anzutreffen. Inzwischen gehört er unter den 18- bis 30-Jährigen zu einer wachsenden Gruppe, die gegen die Normen ihrer Eltern rebellieren. Noch werden sie dafür mit Ausgrenzung bestraft, obwohl es Mode geworden ist, über Individualität, Gleichberechtigung und internationale Öffnung zu reden.

Doch die Situation ändert sich. Taka trifft seit einem Jahr regelmäßig jüngere Männer, die seine Leidenschaft für die Selbstständigkeit teilen, etwas vom Kochen verstehen und wissen, wie Mann eine Waschmaschine, ein Bügeleisen und einen Staubsauger bedient. Seine neuen Freunde sind jünger und noch rebellischer. Hiroshi (24) ist es egal, wenn er mal für zwei Monate keinen Job, dafür aber Zeit hat, zu Hause auf seinem Schlagzeug neue Techno-Rhythmen einzuüben. Kaji (27) hat in seinem Schlafzimmer einen Computer installiert und übernimmt Aufträge für die Gestaltung von Homepages. Er arbeitet oft ganze Nächte durch, fliegt aber oft zum Kurzurlaub ins Ausland.

Taka und seine Freunde kommen nicht aus begüterten Familien, sondern aus der unteren Mittelschicht. Ihr Freiheitsdrang weist darauf hin, dass junge Japaner immer weniger bereit sind, sich für einen Konzern aufzuopfern. Und junge Rebellinen scheinen diesen Freiheitsdrang der Männer schätzen zu lernen. Maki hat jetzt Taka vorgeschlagen, gemeinsam ein Büro für Softwaredesign und Computergraphik zu eröffnen. Dafür würde sie bei ihm einziehen und ausprobieren, ob er solide genug für einen anderen Lebensstil sei. ANDRÉ KUNZ