Nazi-Erbe gelöscht

Österreichs Regierung streicht heimlich NS-Gesetze aus dem Internet. Sie sind dennoch weiterhin gültig

WIEN taz ■ Die enge Zusammenarbeit „mit den gesundheitlichen Einrichtungen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei“ ist für österreichische Beamten in manchen Angelegenheiten verpflichtend. So zumindest steht es im Gesetz zur „Vereinheitlichung des Gesundheitswesens“ (Bundesgesetzblatt 151/1947), einem Machwerk aus dem Jahr 1934, das nach dem Anschluss Österreichs 1938 übernommen wurde. Es blieb auch nach der Niederlage der Nazis bestehen – bis dieser Tage. Es war wohl bei der Reinigung der österreichischen Gesetze von nationalsozialistischem Gedankengut nach dem Krieg schlicht übersehen worden.

Auch ähnliche Passagen in Gesetzestexten fielen anscheinend niemandem auf. Und so wäre es wohl auch geblieben, hätte sie nicht kürzlich die Antirassismus-Organisation Helping Hands per Internet im Rechtsinformationssystem des Bundeskanzlermts entdeckt. Das Amt der Wiener Landesregierung hatte sich noch vor kurzem für die Beibehaltung sämtlicher Normen in der Gesundheitsordnung eingesetzt.

Erst nachdem die Tageszeitung Der Standard über den Skandal berichtet hatte, schrillten bei der Regierung in Wien die Alarmglocken. Doch an Öffentlichkeit war man nicht interessiert. Stillschweigend wurden die beanstandeten Textstellen mit dem Hinweis „Anm.: gegenstandslos“ gelöscht.

„Das Gesundheitsamt hat die natürliche Bevölkerungsbewegung in seinem Bezirk zu verfolgen, das wertvolle Erbgut in unserem Volke zu pflegen und hierauf insbesondere bei der Eheberatung zu achten.“ Dieser und andere Nazi-Paragrafen stehen jetzt zwar nicht mehr im Internet, doch in Kraft bleiben sie nach wie vor. Denn zu ihrer Tilgung bedarf es eines offiziellen Rechtsaktes der Regierung samt dessen öffentlicher Bekanntgabe, und das ist bisher nicht geschehen.

Doch auch bei der heimlichen Säuberung wurde noch einiges übersehen. Etwa die Präambel aus dem Jahr 1938 zur „Vereinheitlichung des Gesundheitswesens in Österreich“. Darin heißt es: „Auf Grund des Gesetzes über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich vom 13. März 1938 wird Folgendes verordnet . . .“

Dass sich die Peinlichkeiten für das Kabinett um Wolfgang Schüssel gerade in einer Zeit häufen, da der Bundeskanzler beweisen will, wie ungerecht die Sanktionen der Europäischen Union gegen sein Land sind, ist nicht einmal die Schuld der neuen Regierung. Der schlampige Umgang mit den Nazi-Gesetzen geht auf die rot-schwarze Koalition zurück. RALF LEONHARD