Love Parade als Stehparty

Die Grünen schlagen vor, die Love Parade auf den Tempelhofer Flughafen zu verlegen

von DOROTHEE WINDEN

Am liebsten würden einige Berliner Grüne die Love Parade ja auf die Berliner Stadtautobahn verbannen. „Da ist sowieso immer Krach“, lautet das Argument. Auf der schnurgraden ehemaligen Rennstrecke durch den Grunewald könnten die Techno-Jünger zwischen Leitplanken tanzen. Die Sprecherin der Grünen Jugend, die den Vorschlag unterstützt, nennt dies gar „die Utopie der Grünen Jugend“. Wegen des verkehrsberuhigenden Effekts.

Die Mutterpartei steht in Sachen Weltfremdheit nicht zurück. Sie wartet gar mit dem Vorschlag auf, das alljährliche Superevent der Techno-Szene auf das Rollfeld des Flughafens Tempelhof zu verlegen. Aus dem bunten Umzug, der sich jeden Sommer durch die Innenstadt schlängelt, würde ein „Volksfest“. Der Vorschlag beinhaltet also nichts Geringeres als die Abschaffung der Love Parade in ihrer jetzigen Form.

Dabei sollte dieses Jahr alles anders werden: Die Grünen, die sich schließlich als tolerante, weltoffene Metropolenpartei verstehen, wollten ein freundliches Signal aussenden. Elf Jahre nach der ersten Love Parade stand ein Annäherungsversuch auf der grünen Tagesordnung. Zu einem Zeitpunkt, wo die Spaßparade längst mehr Ähnlichkeit mit Mallorcas Ballermann hat als mit innovativer Subkultur, gerät nun dieser Annäherungsversuch zum Ausdruck der Probleme, die die Berliner Grünen mit der Metropole haben. Selbst Szenemagazine verunglimpfen die Love Parade inzwischen als „Deppentechno für Technodeppen“.

Die Abneigung der Grünen gegen die Love Parade speist sich nicht nur aus der jährlichen Verwüstung des Tiergartens, der grünen Lunge der Hauptstadt, und den Bergen von Party-Müll. Das gestörte Verhältnis zu der Technoparty ist auch daran begründet, dass die Grünen mit der Techno-Kultur nicht viel anfangen können. Diese ist in fast allem das Gegenteil grüner Grundüberzeugungen: die künstlich erzeugte Musik, Clubwear aus Kunstfasern und eine Jugendkultur, die Protest durch Spass ersetzt hat.

„Mir ist das völlig fremd, was da passiert,“ sagt die stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Grünen, Claudia Hämmerling. Die Love Parade habe sich in den letzten Jahren zu einer „ziemlich dumpfen Veranstaltung“ entwickelt. „Wenn man Mitglied der Grünen ist, kann man den Tiergarten als Veranstaltungsort nicht gut finden“, sagt Hämmerling apodiktisch.

Fürsprecher findet die Love Parade nur bei den grünen KulturpolitikerInnen, Alice Ströver und Jochen Esser. „Die Grünen sagen immer, in einer Metropole muss für alle Platz sein“, packt Esser die Grünen bei ihren eigenen Ansprüchen. „Das muss dann auch für unpolitische Normalos gelten.“ Esser kann der Love Parade sogar etwas „Liberaldemokratisches“ abgewinnen. Anders als Rockkonzerte, bei denen der Rockstar ganz im Mittelpunkt stehe, gelte beim Techno: „Der Star bist du selbst“, sagt Esser. Das wäre ein Anknüpfungspunkt. „Das sehen die Grünen aber nicht, weil ihnen das Ganze so fremd ist“, attestiert Esser seinen Parteifreunden ein Wahrnehmungsproblem.

Er erinnert sich daran, dass in den 60er-Jahren die Wiesen des Tiergartens gar nicht betreten werden durften. „Diese Freiheit ist erkämpft“, sagt der 49-jährige Abgeordnete. Vorneweg waren die Kinderläden, die die Wiesen stürmten und sich dafür mit der Polizei anlegten.

Die Grünen als politische Erben der 68er wollen der nachfolgenden Jugend nun vorschreiben, wie viele Raver den Rasen betreten dürfen.

Doch auch der Kulturpolitiker Esser sieht ein: „Der Tiergarten braucht auch mal eine Pause.“ Die Grünen hatten gehofft, dass nach der Prüfung von 19 Alternativstrecken der denkmalgeschützte Park in diesem Jahr verschont werde. Doch wegen Sicherheitsbedenken schieden sämtliche Routen aus, auch der Flughafen Tempelhof wurde vom Runden Tisch als ungeeignet befunden.

Damit wollte sich die grüne Fraktion allerdings nicht abfinden. Sie schlägt vor, die Parade im nächsten Jahr auf den Flughafen Tempelhof zu verlegen. Die größte Technoparty Europas könnte dann auf dem Rollfeld steigen. „Die Leute können ja von Wagen zu Wagen laufen und die Musik hören“, meint der grüne Landesvorstandssprecher Andreas Schulze. Er wirft die Frage auf, ob die Organisationsform einer Parade „noch adäquat“ sei. Die Form der Parade sei doch in erster Linie gewählt worden, um das Spektakel als Demonstration anzumelden. Auch die grüne Kulturpolitikerin Alice Ströver bezeichnet das Rollfeld als „coole Alternative“.

Die Veranstalter der Love Parade lehnen den Vorschlag der Grünen rundweg ab. Zwar ist der Umzug wegen des Massenandrangs längst zu einem großen Geschiebe und Gedränge geworden, doch die Love-Parade-Veranstalter halten am Prinzip des beschallten Fußmarsches fest. Der Vorschlag, daraus eine Stehparty zu machen, sei „nicht im Sinne der Love Parade“, sagte Pressesprecherin Christine Presber. „Das würde das Konzept völlig verändern.“

Auch bei der Berliner Flughafengesellschaft stößt der Vorschlag der Grünen auf glatte Ablehnung. BBF-Sprecherin Carmen Meichsner fürchtet nicht nur um die Antennen und Signallampen, die von der Party in Mitleidenschaft gezogen werden könnten. „Wer bezahlt denn eventuelle Schäden und den finanziellen Aufwand für die Verlagerung des Flugverkehrs?“

Doch trotzig halten die Grünen am Tempelhofer Flugfeld fest. Die Bedenken seien „nicht stichhaltig“, befinden Öko- und Kulturpolitiker unisono. Als Präzedenzfall für ein zeitweiliges Aussetzen des Flugbetriebs führt die Abgeordnete Alice Ströver den Tag der offenen Tür und das Jubliäum zur Luftbrücke an.

Und Hämmerling meint: „Dann muss man die Signalanlagen des Flughafens eben abbauen.“ Schließlich würden in der Stadt sämtliche Straßenlaternen auf der Paradenstrecke mit Fett bestrichen, um die Teilnehmer an riskanten Klettertouren zu hindern. „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“

Hinweis:Die 68er haben das Betreten des Rasens erkämpft. Doch die Raver sollen heute nicht dürfen.