Währungspolitik auf Afghanisch

Um die Inflation einzudämmen, verbrennen die Taliban stapelweise Geldscheine. Zu dem dramatisch sinkenden Wert des Afghani kommen Missernten und steigende Lebensmittelpreise, die den Menschen das Überleben schwer machen

aus Kabul und PeschawarJAN HELLER

Schade, dass in Afghanistan gerade kein Winter ist. Denn die in etwa neun Zehnteln des Landes herrschenden Taliban haben einen neuen Brennstoff entdeckt: Geld. Bündelweise verbrennen sie die verwaschenen grünen und blauen Afghani-Scheine, um der ihrer Ansicht nach zu großen umlaufenden Geldmenge Herr zu werden.

Tatsächlich ist das afghanische Geld nicht mehr das Papier wert, auf dem es gedruckt wird: Anfang Mai hatte der Afghani den tiefsten Stand seiner Geschichte erreicht, 75.000 bekam man für einen US-Dollar – theoretisch, denn in Kabul sorgten die Taliban dafür, dass die Shops auf dem Geldbasar am ausgetrockneten Kabul-Fluss geschlossen blieben, um einen weiteren Absturz zu verhindern. Auch auf dem Chowk-e Yadgar, dem größten Markt für Afghani-Transaktionen in Peschawar im benachbarten Pakistan, waren mehrere Tage lang keine Geschäfte mit der afghanischen Währung mehr möglich.

Binnen vier Tagen hatte der Afghani in der letzten Aprilwoche 20 Prozent seines Wertes verloren, in den drei Wochen von Mitte April bis Anfang Mai sogar fast ein Drittel. Vor vier Jahren war er immerhin noch neunmal stärker; 1989, als die Sowjets aus dem besetzten Afghanistan abzogen, stand der Afghani-Kurs sogar bei traumhaften 150 zum Dollar.

Um den Afghani wenigstens auf niedrigem Niveau wieder zu stabilisieren, ergreifen die Taliban drastische Maßnahmen. Per Dekret ihres geistigen Führers Mulla Muhammad Omar verboten sie ihren Untertanen Ende voriger Woche, ausländische Währungen zu verwenden. Da die höchste Banknote der 10.000er-Schein ist, werden sich die Afghanen wieder daran gewöhnen müssen, bei größeren Transaktionen bündelweise Geld mit sich umherzuschleppen.

Bisher zahlte in Rupien oder Dollar, wer ein Haus mieten, ein Auto kaufen oder en gros für seinen Marktstand einkaufen wollte. Jetzt wird man sich vorerst an das Dekret halten müssen: Die Kabulis sind vorsichtig geworden. „Wenn die Taliban unsere Bartlänge kontrollieren können“, sagt ein Händler, „dann auch das.“

Die Ursachen für den drastischen Afghani-Verfall sind vielfältig: Es existiert faktisch keine Wirtschaft mehr, sodass die Währung keinem Gegenwert in Waren besitzt. Zudem droht wegen der gegenwärtigen Dürre in Afghanistans Südprovinzen ein Rückgang der Rohopiumproduktion – im vergangenen Jahr 4.600 Tonnen –, was auf die Währung drückt. Nach Aussagen hiesiger Beobachter wird der Handel damit weitgehend von den Taliban kontrolliert, die inzwischen beste Beziehungen zur tschetschenischen Drogenmafia aufgebaut haben sollen. Die kontrolliert ein Großteil des Absatzes in Ost- und zunehmend auch in Westeuropa.

Außerdem beschuldigen die Taliban, wohl nicht ohne Grund, ihren wichtigsten verbliebenen Gegner Ahmad Schah Massud, mit Hilfe Russlands – wo Afghanistans Währung seit Jahrzehnten gedruckt wird – Milliarden frische Afghani in Umlauf zu bringen. Sie sollen deshalb bereits Kontakte nach Schweden aufgenommen haben, um eine neue Währung drucken zu lassen. Doch daraus wird wohl nichts werden: Geld im Ausland drucken zu lassen ist teuer, und die Taliban, die ohnehin unter Rekrutierungsproblemen für ihre bisher ausgebliebene Frühjahrsoffensive leiden, brauchen jeden Dollar für die Front.

Hilfsorganisationen vor Ort geben den Durchschnittsverdienst in Kabul mit 85.000 Afghani an – im Monat. Staatsangestellte erhalten mit 300.000 Afghani etwas mehr. Aber auch das sind nach jetzigem Stand umgerechnet keine fünf Dollar. Für die Afghanen ist das eine Katastrophe, zumal die Lebensmittelpreise auch in absoluten Zahlen steigen. Fleisch und selbst Gemüse, das eigentlich in ausreichender Menge produziert wird, stehen kaum noch auf dem Speiseplan.

Das hängt allerdings auch mit der Dürre in den Südprovinzen zusammen, nach Aussagen der Taliban-Behörden die schlimmste seit 1971. Die damalige hatte so große Unzufriedenheit ausgelöst, dass sie 1973 sogar zum Sturz des Königs führte. Nach UN-Schätzungen sind heute 2,5 bis 3 Millionen Menschen von der Dürre betroffen, besonders die Viehnomaden. Einige haben bis zu 90 Prozent ihres Herdenbestandes verloren. Aber auch in den Städten wird das Wasser knapp und schlechter. Krankheiten drohen.

Die Lage sei „ernst“, meint James Barker, der örtliche Vertreter der UN-Ernährungsorganisation FAO, „aber noch nicht kritisch“. Das kann noch kommen, denn die UNO erwartet wegen des ausgebliebenen Frühjahrsregens nun auch große Ausfälle bei der Weizenernte, nachdem schon im Winter zu wenig Schnee fiel, dessen Schmelzwasser wiederum die Hauptquelle für die Bewässerung ist. „Kabul kann ohne Gold leben“, lautet ein afghanisches Sprichwort, „aber nicht ohne Schnee.“