Den Soul in der Maschine suchen

■ De/Vision aus Darmstadt vertonen das Gefühl, abends in der Dorfdisco die Widrigkeiten des Alltags zu vergessen

O, dunkle Erinnerung, lass es herauf ziehen, das goldene Zeitalter des Synthie-Pop, die beginnenden 80er Jahre: Hoch gestellte Haare, verträumte Blicke durch weichgezeichnete Videos, gepflegte Melancholie im Maschinenrhythmus. Heaven 17, Human League, Yazoo, sowas gibts heute nicht mehr, außer natürlich Depeche Mode. Und ihren Epigonen: Wie De/Vision aus Darmstadt, die es in den mittlerweile zwölf Jahren ihres Bestehens zum unangefochtenen Marktführer hierzulande gebracht haben. Der immer wiederkehrende Depeche-Mode-Vergleich ist ihnen allerdings längst lästig, und tatsächlich haben die angeschwollenen Arrangements des Trios, das verzweifelt den Soul in der Maschine sucht, inzwischen relativ wenig zu tun mit den differenzierten, immer wieder experimentellen Klängen der Vorbilder aus Britannien.

De/Vision dagegen, das wissen sie selbst, werden jenseits ihrer treuen Fanschar oft als „zu lieb und zu poppig empfunden“. Diesem Umstand hat man auf dem aktuellen und insgesamt siebten Album „Void“ dahingehend Rechnung getragen, dass erstmals Gitarren integriert wurden, wenn auch welche, die eher vorsichtig bratzen. Ansonsten gibt man sich mit bulgarischen Gesängen und avancierteren Electro-Sounds bewusst experimentell und versucht mit aller Macht vom Image einer eindimensionalen Synthie-Popband los zu kommen.

Es gibt kaum ein musikalisches Genre, in dem die Künstler-Fan-Bindung so intensiv ist wie in diesem. Nicht umsonst firmieren die drei Musiker nur unter ihren Vornamen und teilen sich Gesang und Keyboardarbeit demokratisch. Die Berichterstattung findet fast ausnahmslos in Fanzines und im Internet statt, während man von den bürgerlichen Medien weitestgehend ignoriert wird.

So können De/Vision zwar nicht auf überwältigende, aber doch jederzeit solide Verkäufe bauen: Ihre Platten steigen in den Top 30 der deutschen Charts ein. Electro-Popbands und allen voran De/Vision befriedigen das Bedürfnis Heranwachsender nach Melancholie ohne Konsequenzen. Geschüttelt von den Nachwirkungen der Pubertät schwelgt man im modischen Weltschmerz, ohne wirklich suizidgefährdet zu sein. Zu dieser kleinstädtischen Stimmungslage liefern De/Vision mit stets getragenen Balladen und behutsamen Experimenten den Soundtrack.

Auch wenn die drei Musiker von De/Vision mittlerweile alle um die 30 Jahre alt geworden und von Darmstadt nach Hamburg verzogen sind: Ihr Sound ist weiterhin ein zutiefst adoleszenter und provinzieller. Er vertont das Gefühl, das man bekommen muss, wenn man abends in der Dorfdisco die Widrigkeiten einer Verkäuferinnenlehre zu vergessen sucht.

So dienen auch die Versuche, ihren Sound zu modernisieren, weniger dazu, Anschluss an aktuelle Entwicklungen zu finden. In dieser Szene weiß man was man kriegt und vor allem: man will es wissen. Eher schon haben sich De/Vision verändert, um sich nicht selbst anzuöden. „Man kann ja nicht immer und ewig dasselbe machen“, sagt Steffen, „es wird sonst einfach langweilig.“ Thomas Winkler

Konzert am 11. Mai um 22 Uhr im Tivoli