Sperriger Ort sucht Sponsor

Wo früher die SS-Zentrale stand, soll seit 1993 die Gedenkstätte „Topographie des Terrors“ entstehen. Doch der Bau wird immer teurer und kommt nicht voran. Reinhard Rürup, Direktor der betreuenden Stiftung, macht dafür Bund, Berliner Senat und den Architekten verantwortlich

von PHILIPP GESSLER

taz: Professor Rürup, Sie haben viel Ärger mit der „Topographie des Terrors“: Macht Ihnen Ihre Arbeit noch Spaß?

Rürup: Im Augenblick macht die Arbeit in der Tat etwas weniger Spaß als sonst. Eine Baukrise, wie wir sie jetzt haben, zerrt natürlich etwas an den Nerven. Wir haben ja nicht nur das Problem der Mehrkosten, sondern auch das Problem der ständigen Verzögerung dieses Baus. Wenn man sich klar macht, dass der Wettbewerb im März 1993 entschieden wurde und bis jetzt drei Treppentürme stehen und uns gesagt wird, dass, wenn alles gut geht, es noch zwei bis drei weitere Jahre dauern wird, bis das Gebäude übergeben werden kann, dann ist das schon deprimierend.

Wann, glauben Sie, kann der Bau beendet werden?

Die Bauleute sprechen von 2003, 2004. Wir haben bisher immer gesagt, 2004 ist ganz inakzeptabel. Und 2003 müsste es so früh im Jahr fertig werden, dass wir noch im Laufe des Jahres anfangen können zu arbeiten.

Sie haben gesagt, Ihnen falle nichts ein, wo die „Topographie“ selbst irgendeine Schuld haben könnte. Wer also trägt die Hauptschuld an der Misere?

Es ist immer etwas schwierig mit der Schuldzuweisung. Die Verzögerungen sind zu einem erheblichen Teil vom Architekten Peter Zumthor zu verantworten. Ich glaube, dass die Mehrkosten eher von der Senatsbauverwaltung zu verantworten sind. Es sind hier keine neuen Programme entwickelt worden. Es wurden auch keine teureren Baumaterialien benutzt, sondern es ist das gebaut worden, was von Anfang an geplant war. Die Kosten wurden nicht hinreichend berechnet.

Hatte man die nötigen Kosten verdrängt, weil man das Projekt unbedingt wollte?

Das kann man anhand vieler Beispiele, die es in Westberlin dafür gegeben hat, auch schon im vereinten Berlin, nicht ausschließen. Aber man kann so etwas ja ebenso wenig nachweisen. Es hat sehr viele Verteuerungen von wichtigen Bauten in den vergangenen 20, 30 Jahren gegeben. Manche haben sich um ein Vielfaches verteuert, das Internationale Congress Centrum etwa oder das Abgeordnetenhaus. Von daher mag es auch ein gewisser Stil gewesen sein, mit dem man früher durchkam, in finanziell günstigeren Zeiten, und mit dem man heute Schwierigkeiten hat. Aber das sind Überlegungen und keine konkreten Nachweise.

Sie waren von Anfang an nicht überzeugt vom Bauentwurf des Schweizer Architekten Peter Zumthor. Warum?

Weil dieser Entwurf von wichtigen Ausschreibungsbedingungen fundamental abwich. In der Ausschreibung stand, dass eine kleine Ausstellungshalle gebaut werden soll, und in räumlicher Verbindung damit ein Besucherzentrum. Das sollte möglichst am Rande des Geländes liegen. Zumthor hat nun ein Gebäude für alles gemacht, hat es mitten auf das Gelände gestellt. Das stand in deutlichem Kontrast zu dem damaligen, auch politisch verabschiedeten Konzept. Von daher hatten wir Bedenken, ob diese Entscheidung richtig sei. Aber nachdem die Entscheidung getroffen war, haben wir weder den Entwurf zu Fall zu bringen versucht, noch haben wir später gegen ihn polemisiert. Und heute ist es ganz eindeutig, dass die Stiftung den Bau von Zumthor will.

Zumthor gilt als komplizierter Mensch. Jüngst schrieb er, nicht alle hätten die Radikalität seines Entwurfs verstanden.

Architekten entwickeln ihre eigenen Theorien. Und sie erfinden manchmal auch die Welt neu. Man wird da zweckmäßigerweise auch nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Im gegenwärtigen Stadium können wir sogar sehr froh sein, dass wir den Zumthor-Bau bekommen, weil unser Gebäude jetzt ja die Konkurrenz mit Daniel Libeskind und Peter Eisenman (die Architekten des Jüdischen Museums bzw. des geplanten Holocaust-Mahnmals, d. Red.) aushalten muss. Und das kann Zumthor nun in der Tat. Diese Herausforderungen sah man noch nicht vor fünf Jahren. Von daher hat der Zumthor-Entwurf an Bedeutung gewonnen.

Der Arbeitsausschuss Ihrer Stiftung hat hinter den Verzögerungen auch Taktik vermutet. Nach dem Motto: Das ist ein unbequemer Bau, der an die deutsche Schuld erinnert. Deshalb sei er nicht gewollt. Die Bauverteuerungen würden nur vorgeschoben. Glauben Sie das auch?

Das sind ja eher klimatische Fragen, die der Ausschuss angesprochen hat. Objektiv ist es natürlich so, dass man beispielsweise für ein Jüdisches Museum sehr viel leichter Sponsoren gewinnen kann als für eine „Topographie des Terrors“. Ein bedeutendes Verkehrsunternehmen wirbt nicht mit der „Topographie des Terrors“, kann aber sehr gut werben mit einem Jüdischen Museum. Die Erinnerung an die große jüdische Geschichte und Kultur ist etwas, was bei aller Trauer und Zerstörung dann auch wieder die Herzen in gewisser Weise höher schlagen lässt.

  Da ist ein Projekt wie die „Topographie“, wo es um Täter und um die Bildungsgänge der Täter aus bürgerlichen, akademischen Häusern geht, viel sperriger. Man hält dieses Projekt für wichtig und unterstützt es auch, aber man kann sich mit ihm nicht in gleichem Maße wie etwa mit der Berlinischen Galerie identifizieren. Das liegt in der Natur der Sache.

Sie haben die Forderung gestellt, der Bund solle sich stärker an der „Topographie“ beteiligen. Damit bekäme der Bund aber auch mehr Einfluss auf die „Topographie“. Würden Sie trotzdem dafür plädieren?

Soweit es den normalen Etat der „Topographie des Terrors“ angeht, ist der Bund zu 50 Prozent beteiligt. Da gibt es gar keine Forderung. Es geht um den Bau, und da glaube ich, dass es möglich sein muss, in Verhandlungen mit dem Bund dahin zu kommen, dass er letztlich auch für den Bau, der nun teurer wird als ursprünglich gedacht, seinen Anteil hälftig übernimmt.

Mit welchem Argument wollen Sie den Bund überzeugen, dass er mehr Geld gibt?

Er ist ja ein gleichberechtigter Partner in dieser Stiftung. Er hat deshalb ursprünglich anerkannt, dass er sich auch an dem Bau zur Hälfte beteiligt. Dass er zunächst wenig Neigung hat, Kostensteigerungen mitzumachen, kann man nachvollziehen. Gerade in Hinblick auf das Denkmal für die ermordeten Juden Europas und das Jüdische Museum wird der Bund aber letztlich doch sagen: Die „Topographie des Terrors“ ist nötig, und da wir an dem Unternehmen beteiligt sind, müssen wir daraus Konsequenzen ziehen. Das werden keine einfachen Verhandlungen sein. Aber Berlin kann diese Verhandlungen erst dann führen, wenn die Zahlen endlich mal auf dem Tisch liegen. Insofern ist das das Vordringlichste.

Wenn es bis Juli, wie Sie gefordert haben, nicht klappt mit den Zahlen: Was passiert dann?

Ich weigere mich, im Augenblick darüber nachzudenken, was dann passiert. Denn ich meine, es muss bis Juli klappen. Das ist auch fest verabredet mit allen Beteiligten. Die Senatsverwaltung ist finster entschlossen, das durchzusetzen. Deshalb bin ich im Augenblick der Meinung, wir werden die Zahlen bis zur Sommerpause auf dem Tisch haben.

Wie erklären Sie sich, dass Kultur-Staatsminister Michael Naumann sehr zurückhaltend ist, den Beitrag für die „Topographie“ aufzustocken, während er beim Holocaust-Mahnmal mehr oder weniger sagt: Naja, das Geld spielt kaum eine Rolle?

Bei dem Denkmal für die ermordeten Juden ist die Situation insofern sehr viel günstiger für Minister Naumann, weil hier der Bundestag die Errichtung des Denkmals und auch die Schaffung eines „Ortes der Information“ beschlossen hat. Wenn der Bundestag das beschließt, dann wird er nicht das Geld dafür verweigern können. Eine ähnliche Beschlusslage gibt es natürlich für die „Topographie des Terrors“ nicht: Diese Mittel müssen anderswo eingespart oder zusätzlich in den Haushalt gestellt werden. Ich habe nicht den Eindruck, dass Herr Naumann prinzipiell darauf beharren wird, dass der Bund nicht mehr als die einmal zugesagten 18 Millionen geben wird. Aber er hat natürlich auch keinen Grund, im Augenblick nach vorn zu springen und zu sagen: Wir übernehmen gerne etwas, sagt uns nur, wie viel.

Es gibt die Spekulation, Naumann hänge so sehr an seinem „Ort der Information“ am Holocaust-Mahnmal, dass er die Konkurrenz der „Topographie“ fürchtet und auf kaltem Wege, nämlich über das Geld, diese Konkurrenz loswerden möchte. Glauben Sie, da ist was dran?

Ich kann nicht sagen, ob es solche Überlegungen mal gegeben hat, aber ich glaube, im Augenblick gibt es sie nicht. Auch Herr Naumann sieht nach meinem Eindruck deutlich, dass man diese drei Einrichtungen braucht und dass auch der Bund mit seinem Engagement bei dem Denkmal und dem Jüdischen Museum aus der Balance geraten würde, wenn die „Topographie des Terrors“ nicht realisiert würde.

Sie meinen, es gebe keine Konkurrenz zwischen diesen drei Unternehmungen?

Die ist nie ganz auszuschließen. Es hängt natürlich davon ab, wie der „Ort der Information“ ausgestaltet wird. Nach meiner Information hat der Bundestag mit der Wahl dieser Begrifflichkeit deutlich gemacht: Er will kein Museum. Er will auch keinen größeren Ausstellungskomplex, sondern eben einen „Ort der Information“. Das ist etwas Sparsames und Bescheidenes. Aber darüber muss in den nächsten Monaten erst beraten und verhandelt werden.

Neben dem Holocaust-Mahnmal, dem Jüdischen Museum und der „Topographie“ gibt es bereits das Haus der Wannseekonferenz. Befürchten Sie, dass sich die Erinnerungsstätten gegenseitig die Wirkung nehmen?

Das glaube ich nicht. Das Jüdische Museum wird letztlich doch andere Besucher haben als die „Topographie des Terrors“. Das Holocaust-Denkmal wird sicher in den ersten Jahren, vielleicht auch langfristig, im Zentrum der touristischen Aufmerksamkeit stehen: Ein Denkmal ist immer leichter zu besichtigen, als wenn man in ein Museum geht oder in eine Dokumentationseinrichtung. Von daher werden die Einrichtungen sich nicht behindern, sondern tendenziell gegenseitig stärken, da die interessierten Besucher auch deutliche Akzente gesetzt sehen.

Wann, glauben Sie, werden alle drei Einrichtungen für Besucher offen stehen?

Das Jüdische Museum plant ja im Augenblick, im Spätjahr 2001 zu eröffnen. Da die Öffnung aber schon mal verschoben werden musste, ist das vielleicht noch kein definitives Datum. Aber in absehbarer Zeit wird man da schon eröffnen. Das Holocaust-Denkmal ist sehr schwer einzuschätzen. Bisher fehlen noch alle Vorarbeiten für eine Ausführung des Baus. Es fehlen die Zeichnungen des Architekten, und die Baugenehmigung setzt solche Zeichnungen voraus. Das erschwert sich natürlich, wenn der dortige „Ort der Information“ ein Gebäude sein soll. Dann muss das überhaupt ganz neu geplant werden. Das wird dann auch zu deutlichen Verzögerungen führen.

Ist das denn sicher, dass der „Ort der Information“ ein richtiges Gebäude wird?

Das halte ich für sicher. Ich selber habe im Kuratorium der Stiftung für das Denkmal vorgeschlagen, auf ein Gebäude zu verzichten, bin damit aber ganz eindeutig in der Minderheit geblieben. Die große Mehrheit der Kuratoriumsmitglieder geht davon aus, dass ein Gebäude gemeint sei.

Also kann es sein, dass die „Topographie“, die als erstes begonnen wurde, zuletzt fertig wird.

Diese Gefahr besteht im Augenblick – leider. Ich fände das ganz besonders bedauerlich. Denn es müssen eigentlich bei der Eröffnung jeder dieser drei Einrichtungen die anderen beiden deutlich sichtbar sein, so dass das Ensemble als Ganzes wahrgenommen wird.

Werden die drei am Ende ein Schmuck für die Stadt sein?

Die Formulierung „Schmuck“ ist problematisch. Aber ich glaube, dass die drei dann zu den wichtigen Elementen in der Hauptstadt gerechnet werden, für Berliner und für Besucher der Stadt.